Der Fall Chodorkowski: Nowosibirsk, 25.10.2003. Eine russische Spezialeinheit stürmt den Privatjet von Michail Borissowitsch Chodorkowski. So endet abrupt die Karriere des reichsten Manns Russlands. Spannend wie in einem Politthriller zeigt der Berliner Filmemacher Cyril Tuschi den Aufstieg und Fall Chodorkowskis. Aus dem Chemiestudenten jüdischer Herkunft, dem Komsomol Aktivisten und ersten Gründer einer russischen Privatbank wird schnell...
Handlung und Hintergrund
Nach Abschluss seiner Studien als Chemiker und Volkswirt und Tätigkeiten in Jugendorganisationen wurde Michail Chodorkowski 1989 der Vorsitzende einer der ersten Privatbanken Russlands. Über den Vorstand der Bank Menatep führte sein Weg in die Führung des Ölkonzerns Jukos. Auf politischem Gebiet unterstützte er Oppositionsparteien und warf dem Kreml öffentlich Korruption vor. Seiner Verhaftung im Oktober 2003 folgte 2005 eine Verurteilung zu acht Jahren Haft wegen Betrugs und Steuerhinterziehung. 2010 wurde er zu weiteren sechs Jahren Haft verurteilt, die Strafe wurde in der Berufung auf fünf Jahre reduziert.
Besetzung und Crew
Regisseur
Produzent
- Claudia Gatzke,
- Yelena Durden-Smith,
- Thomas Schmidt
Darsteller
- Mikhail Khodorkovsky,
- Pavel Khodorkovsky,
- Marina Khodorkovskaya,
- Lena Khodorkovskaya,
- Anton Drel,
- Joschka Fischer,
- Vladimir Putin,
- George W. Bush,
- Anatoly Chubais,
- Grigory Yavlinsky,
- Nina Kravets,
- Maksim Valetzky,
- Leonid Nevzlin,
- Mikhail Brudno,
- Christian Michel,
- Evgeny Saburov,
- Aleksey Kondaurov,
- Dmitry Gololobov,
- Andrey Vasilev,
- Boris Nemtsov,
- Ben Aris,
- Igor Yurgens,
- Alexander Temerko,
- Boris Ponomariov,
- Milan Horacek,
- Ilya Yashin
Drehbuch
Kamera
- Cyril Tuschi,
- Eugen Schlegel,
- Peter Dörfler,
- Franz Koch
Schnitt
- Cyril Tuschi,
- Salome Machaidze
Kritikerrezensionen
Die Deutsche Film- und Medienbewertung
Mikhail Chodorkowski war einer der größten Oligarchen Russlands. Sein Öl- und Bankenimperium wuchs unaufhaltsam, die Beziehungen zu Wirtschaft und Politik waren ausgezeichnet. Doch dann stellte sich Putin im Jahr 2003 gegen ihn und erklärte ihn zum Staatsfeind Nr. 1. Chodorkowski wurde in ein sibirisches Gefängnis gebracht und mehrerer Vergehen beschuldigt. Auf seine Freilassung wartet er bis heute. Cyril Tuschis Dokumentarfilm nähert sich geschickt der Frage, wie es zu dem Auf- und Abstieg Chodorkowskis kommen konnte. Dabei werden Wegbegleiter, Familie, Freunde und Gegner gleichermaßen befragt. Tuschi nutzt vorhandenes Bildmaterial und Fernsehberichte ebenso wie eigene animierte Sequenzen, die das komplexe Bild der dokumentierten Person komplettieren. Gleichzeitig erhält der Zuschauer einen Einblick in die Vorgänge des russischen Wirtschaftsapparats, der durchzogen ist von Manipulation und Korruption. Im Zentrum aber stehen immer Chodorkowski, seine Ansichten und Ideen. Ein faszinierendes und bis ins kleinste Detail recherchiertes Porträt einer charismatischen und ambivalenten Persönlichkeit.
Jurybegründung:
Mit viel Mut und Ausdauer hat sich Cyril Tuschi an einen schwierigen Fall herangewagt. Wer Machtstrukturen durchschauen und sogar auch für ein Kinopublikum anschaulich machen will, muss verschiedene Wege erproben, mehrfach Anlauf nehmen und einen langen Atem haben. Anfangs scheinen die Wege versperrt. Tuschi stößt auf Hindernisse und es ist kaum zu hoffen, dass er an Chodorkowski herankommt. Wenn ihm am Ende gar ein Interview mit seinem Protagonisten bei der Gerichtsverhandlung gelingt, ist das geradezu ein Coup. Zahlreiche maßgebliche Zeitzeugen äußern ihre Meinung vor der Kamera. Manche sagen, was sie ehrlich glauben und einige geben ihr brisantes Wissen preis. Die Eigentumsfrage spielt auch in diesem Fall eine entscheidende Rolle. Wer bekommt beim Systemwechsel das frühere Volkseigentum in die Hand? Ein Verkauf zu Weltmarktpreisen hätte alle relevanten Wirtschaftsgüter Ausländern zufallen lassen. Daher wurde ein anderer Verteilungsmodus gewählt, der die Voraussetzung für die Oligarchie schuf. Die Verabredung, dass sich der neue Finanz- und Wirtschaftsadel aus der Politik heraushalten möge, wurde offenbar von Chordorkowski nicht eingehalten. Das wurde teilweise aus den Interviews deutlich, aber alles lässt sich trotzdem nicht sagen. Für die Jurymitglieder wirkten daher auch die Animationen aufschlussreich, die u. a. die Verhaftung Chordorkowskis zeigen und ihn bei seiner Karriere im Geld und Erdöl schwimmend vorführen. Vielleicht war er als Familienvater und Oligarch damals zu beratungsresistent und autoritär. Inzwischen betrachtet er sich und die Welt offenbar mit (Selbst-)Ironie. Kluge Leute finden in jeder Lage einen Ausweg, die wirklich Weisen vermeiden es, überhaupt in schlimme Lagen zu kommen. Er gesteht ein, dass er wohl nicht weise genug war. Und er praktiziert im Gefängnis eine Form der Therapie: Er arbeitet an seiner Verteidigung und vielleicht an einer politischen Karriere nach seiner Freilassung. Tuschi hat an wechselnden Schauplätzen Spuren verfolgt, die sehr viele Aspekte betreffen, aber letztlich keine sichere Aufklärung bieten können. Ehemalige Staatsmänner (z.B. Joschka Fischer) plaudern aus dem „Nähkästchen“; Familienangehörige und Weggefährten kramen in ihren Erinnerungen. Zuweilen lockern Metaphern die Recherche auf. Einzelne Gutachter vertraten die Auffassung, dass die Fülle an Fakten und Vermutungen vielleicht durch eine distanzierte redaktionelle Auswahl noch etwas überschaubarer für die Zuschauer geworden wäre. Alle stimmten jedoch darin überein, dass dieser Dokumentarfilm politisch wie künstlerisch beste Qualitäten besitzt. Die FBW-Jury votierte daher für das Prädikat „besonders wertvoll“.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
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