Zwei Jungs haben sich in der Schule geprügelt. Die Eltern treffen sich, um über die Situation zu reden und alles zu klären. Doch alles kommt anders, als ein Streit losbricht. Bald schon sind es nicht mehr die Kinder, die ihren Kampf mit Fäusten ausfechten, sondern die Erwachsenen - und ihre Waffen sind Worte. Die Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Yasmina Reza bringt die klaustrophobisch kammerspielartige Atmosphäre gekonnt auf die große Leinwand. Roman Polanski überzeugt einmal wieder durch seine raffinierten psychologischen Beobachtungen und die perfekte Schauspielführung eines exzellenten vierköpfigen Ensembles. Mal wirkt die Szenerie beklemmend und bedrückend, mal explosiv und vor Emotionen berstend. Der Zuschauer betrachtet die Widersprüchlichkeit und Scheinheiligkeit der bürgerlichen Figuren aus der Distanz und erlebt die pointiert zugespitzten Wortgefechte doch hautnah mit. Grandioses Schauspielkino und entlarvendes Psychodrama zugleich.
Jurybegründung:
Ihre Kinder haben gestritten. Deshalb treffen sich zwei Elternpaare in der Wohnung des Paares, dessen Sohn verletzt wurde. Er bekam einen Hieb vom anderen verpasst, ob absichtlich oder versehentlich, lässt sich nicht klären, denn keiner der Eltern war Zeuge der Auseinandersetzung. Die Situation wirkt ausgeglichen, geradezu harmonisch, man einigt sich auf ein einvernehmliches Vorgehen. Doch als sich das Gästepaar verabschieden will, wird es von den Gastgebern nochmals aufgehalten: man serviert Espresso, dann Gebäck, der Aufenthalt zieht sich immer länger hin. Währenddessen ist einer der Männer am Handy stark engagiert, wird immer wieder angerufen und telefoniert, während die anderen, dabei jedes Mal ihre Unterhaltung unterbrechend, auf ihn warten. Ein Stichwort des Telefongesprächs wird zur Initialzündung und von da an verändern sich Unterhaltung, Personen, Themen, Allianzen. Jeder äußert sich und entäußert sich, ja es bricht im Wortsinn aus ihnen heraus, was schon lange aufgestaut und nicht verarbeitet war. Jeder greift den anderen an und wird seinerseits mit Aggressionen konfrontiert. Längst ist das Thema und das eigentliche Problem vergessen, die Kinder Nebensache. Jeder der vier Erwachsenen fühlt sich in seinem Innersten und in seiner Existenz angegriffen durch die anderen. Am Höhepunkt der Auseinandersetzungen, als kein Kompromiss mehr möglich scheint, schwenkt die Kamera durch das Fenster auf zwei Szenen im Park und nimmt den Anlass dieses fundamentalen Streits in Augenschein. Dort ist alles friedlich, Kinder spielen, ein Hamster grast, während sich in der Wohnung vier Menschen verbal und, es ist zu befürchten, bald auch physisch niedermetzeln.
Dieses Kammerspiel in bester Tradition europäischer Gesellschaftsdramen trägt in all seinen Facetten die Handschrift des Regisseurs Roman Polanski. Seine Perfektion beginnt bei der Besetzung der vier Darsteller, die ihre Rollen allesamt überzeugend verkörpern. Die von der Kraft der Kultur durchdrungene Penelope (Jodie Forster), die schöne, in ihrer Körpersprache überzeugende Kate Winslet als Nancy, die ihren Frust über Ehemann und Rollenspiel mehr als deutlich zeigt, ihre Partner Christoph Waltz als dauertelefonierender Anwalt Alan, der mit seinem Handy verwachsen scheint und John C. Reilly als Penelopes bodenständiger Ehemann.
Die Wohnung als Teil der Inszenierung spielt eine weitere wichtige Rolle, besonders das Badezimmer, aber auch der Wohnraum mit den auf dem Tisch ausgebreiteten Kunstkatalogen werden unverzichtbarer Teil des kammerspielartigen Szenarios. Die im Lauf des Geschehens sich entwickelnden skurrilen Situationen ziehen nicht weniger entlarvende Handlungen nach sich und dienen der zunehmend entschleiernden Charakterisierung der Protagonisten. Der Zuschauer erhält keine Gelegenheit, sich bei einer der Figuren auszuruhen, er wird durch Wechselbäder der Empathie geführt. Der Film endet so unspektakulär und selbstverständlich wie er begonnen hat. Der Hurrikan der Erregung hat sich gelegt, die Beteiligten erkennen sich selbst nicht mehr. Ein Zeitgemälde, das keinen Moment langweilt oder die Aufmerksamkeit ermüden lässt, bravourös unterhaltsam bis zur letzten Einstellung.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)