Die Mutter meint es nur gut. Das weiß das kleine Mädchen. Immerhin ist es keine leichte Aufgabe, sich für die Aufnahmeprüfung an einer der elitärsten und renommiertesten Schulen des Landes zu bewerben. Doch wenn man es geschafft hat, dann wird man zu etwas „Besonderem“. Um das gemeinsame Ziel zu erreichen, entwirft die Mutter für das Mädchen einen „Lebensplan“. Jede Stunde jedes Tages jeder Woche ist hier verzeichnet und verplant. Doch eines Tages schwebt ein Zettel durch das Fenster des kleinen Mädchens, abgeschickt von dem verschrobenen älteren Nachbarn, einem Tüftler und Piloten. Auf dem Zettel steht der Anfang einer Geschichte. Es ist die Geschichte von einem kleinen Prinzen, der auf einem weit entfernten Stern lebt. Für das Mädchen ist dies der Beginn eines magischen und alles verändernden Abenteuers. Dem Animationsfilm DER KLEINE PRINZ gelingen mit spielerischer Leichtigkeit und zauberhafter Raffinesse zwei Dinge gleichzeitig: Auf der einen Seite eine respektvolle Verbeugung vor Antoine de Saint-Exupéry und seiner Geschichte, die vor über 70 Jahren die Welt eroberte. Und auf der anderen Seite eine originelle Einbettung der Geschichte in eine Rahmenhandlung, die voller Anspielungen und Verweise steckt und die Geschichte des kleinen Prinzen auch Kindern von heute verständlich näherbringt. Mit großer künstlerischer Fertigkeit werden verschiedene Animationsstile miteinander verwoben. Neben der digitalen Tricktechnik, die auf höchstem Niveau stattfindet, arbeiten die Macher auch mit Papieranimationen, um möglichst viele Impressionen der Originalvorlage zu erhalten, was in jeder Sekunde gelingt. Die Musik, die Hans Zimmer und die Künstlerin Camille gemeinsam komponierten, trägt zum Zauber der Geschichte bei, hier vermischen sich verträumte eingängige Melodien mit französischem Charme, der auch die ausgeklügelte Ausgestaltung der Objekte im Haus des Bruchpiloten ausmacht. Immer mehr gleitet der Zuschauer mit dem Mädchen hinein in eine Welt der Fantasie und der Kindlichkeit und wünscht sich, der zentralen Botschaft des Films immer folgen zu können: Erwachsen werden ist nicht das Problem. Das Vergessen ist es! Und manchmal müssen Kinder die Erwachsenen daran erinnern, dass man mit dem Herzen nun einmal am besten sieht. DER KLEINE PRINZ ist ein wahrer und seltener Animationsfilmschatz. Klug erdacht, mit großer Liebe zum Detail umgesetzt und für die ganze Familie eine wahre Freude.
Jurybegründung:
Welche Bedeutung kann der Klassiker von Antoine de Saint-Exupèry für Kinder von heute haben? Die Botschaft von der Kraft der kindlichen Fantasie und davon, dass man „nur mit dem Herzen gut sieht“, ist universell und zeitlos, aber die Geschichte von einem kleinen Wesen, das einem abgestürzten Piloten in der Sahara begegnet und ihm von seinem winzigen Heimatstern, der Liebe zu einer Rose, einem gezähmten Fuchs und einer todbringenden Schlange erzählt, ist eventuell etwas zu poetisch und metaphorisch, um als Stoff für einen abendfüllenden Familienfilm ein ganz junges Publikum zu begeistern. Eine Rahmenhandlung, die die Kinder in ihrer eigenen Erfahrungswelt abholt, war also für diesen aufwendig inszenierten Animationsfilm unbedingt nötig, und die Drehbuchautorin Irena Brignull hat genau solch eine erzählerische Brücke gefunden. Der Film beginnt mit einem kleinen Mädchen, das kein Kind sein darf. Die alleinerziehende Mutter hat deren Tagesablauf und Karriere auf die Minuten genau und über Jahre hinaus durchstrukturiert, denn sie hat ehrgeizige Pläne für ihre Tochter, die unbedingt auf einer Eliteschule angenommen und dann eine erfolgreiche, unabhängige Frau werden soll. Dabei wirkt sie selber wie getrieben und nicht glücklich - offensichtlich kann sie nur mit dem Verstand und nicht mit dem Herzen sehen. Ein chaotischer Nachbar bringt das verplante, graue Leben des Mädchens gehörig durcheinander, und durch ihn lernt sie auch die Geschichte vom kleinen Prinzen kennen. Als Papierflugzeug lässt er die erste Seite der Erzählung in ihr Zimmer segeln - und dies ist nur angemessen, denn er selber ist ein alter Pilot, der unbedingt seinen alten Doppeldecker zum Fliegen bringen will. Das Mädchen ist fasziniert von der Geschichte und dem exzentrischen Nachbarn, mit dem sie bald eine Freundschaft verbindet, weil sie bei ihm Kind sein darf. Er war der Flieger, der einst in der Wüste den kleinen Prinzen getroffen hat, und im Film wird die Originalgeschichte nach und nach weitererzählt. Während die zeitgenössische Welt der Rahmenhandlung im Stil einer modernen Computeranimation inszeniert ist, wird der Mikrokosmos des kleinen Prinzen zuerst dadurch lebendig, dass auf den Seiten, die das kleine Mädchen liest, die bekannten Originalgrafiken plötzlich beginnen, sich zu bewegen. Die Abenteuer des kleinen Prinzen werden dann mit den dazugehörigen Figuren in einer für Kinder reizvollen und für Erwachsene charmant altmodischen Stop-Motion-Technik animiert. Die beiden Animationsstile ergänzen einander perfekt und die Erzählung wird dann auch noch auf einer weiteren Ebene geöffnet, wenn die kleine Heldin ein fantastisches Abenteuer erlebt, bei dem sie mit dem Flugzeug in eine technokratische finstere Welt fliegt. Dort trifft sie den keinen Prinzen, der inzwischen ein erwachsener Lohnabhängiger geworden ist und alles über sein einstiges Leben vergessen zu haben scheint. Das kleine Mädchen rettet ihn, indem sie ihn an die Botschaft seiner eigenen Geschichte erinnert. Diese hochkomplexe Geschichte wird mit einer großen Klarheit und zugleich einfallsreich und verspielt erzählt. Dabei gelingt das Kunststück, einerseits die Originalgeschichte von Saint-Exupéry mit großer Werktreue zu erzählen und sie zugleich in moderner Form weiterzuführen. Dass dies ohne Brüche möglich wurde, ist der sensiblen Inszenierung durch Mark Osborne zu verdanken, der in beiden Animations-Stilen grandiose Bilder gefunden hat. Schön ist auch die Idee, dass ein Fuchs als gezähmtes Tier beim kleinen Prinzen und als Stofftier beim kleinen Mädchen als eine Art Mittler in beiden Erzählwelten existiert. Mit der Musik von Hans Zimmer und der sorgfältigen deutschen Synchronisation wurde DER KLEINE PRINZ auch auf der Tonebene stimmig und inspiriert gestaltet. Die Jury hat dem Film einstimmig das Prädikat „besonders wertvoll“ zugesprochen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)