Atmosphärischer Mystery-Thriller rund um zwei Leuchtturmwärter, die gemeinsam auf einer menschenleeren Insel an der Küste Neuenglands einen Leuchtturm am Laufen halten müssen und sich auf engstem Raum ausgeliefert sind.
Efraim Winslow ist nicht Leuchtturmwärter geworden, weil er es unbedingt wollte. Sein Ziel war es, weit weg von zu Hause Geld zu verdienen, um sich eine eigene Zukunft aufzubauen. Deswegen ist er nun hier, auf einer menschenleeren Insel, zusammen mit dem erfahrenen Leuchtturmwärter Thomas Wake. Am liebsten würde Efraim mit Thomas kein Wort wechseln, so seltsam findet er den alten Mann, der den ganzen Abend trinkt, die Nacht oben im Leuchtturm verbringt und altes Seemannsgarn verzapft. Doch als Untergebener muss er den Befehlen folgen, die ihm im rauen Ton erteilt werden. Je mehr Wochen vergehen, desto größer wird Efraims Wunsch, die Insel endlich verlassen zu können. Als aber das Versorgungsschiff, welches ihn abholen soll, nicht kommen kann, sind Efraim und Thomas auf der Insel gefangen. Nur sie, das Gekreische der Möwen, peitschender Regen und Sturm. Und das helle wandernde Licht des Leuchtturms. Ein Leinwandformat von 4:3, schwarz-weiße Bilder, lange Einstellungen: DER LEUCHTTURM von Regisseur Robert Eggers ist von Beginn an eine kunst- und stimmungsvolle Hommage an die Filme der Stummfilmzeit. Das kluge Spiel mit Licht und Schatten erzeugt einen ebensolchen geheimnisvollen Gruselschauer wie auch das Sound Design. Die treibende Musik von Mark Korven und die Geräuschkulisse, in denen sich Regen und Sturm mit dem Kreischen der Möwen und dem ständigen Maschinendröhnen des Leuchtturms durchmischen, machen die permanente Bedrohung deutlich, die über der Szenerie liegt. Der Sog der Geschichte, die auf Quellen und Erzählmuster von Hermann Melville und H.P. Lovecraft zurückgreift, zieht den Zuschauer mit Wucht in ihren Bann und wird unterstützt von dem intensiven Spiel von Robert Pattinson und Willem Dafoe, die glaubhaft ihre ambivalenten Figuren verkörpern. Im konstanten Spiel mit Wirklichkeit und Wahn spielt Eggers konstant mit den Erwartungen der Zuschauer und schafft ein herausforderndes Filmkunstwerk, dessen atmosphärische Dichte und erzählerische Kraft lange nach Filmende nachwirken.
Jurybegründung:
Robert Eggers wurde bekannt durch seinen ebenso beklemmenden wie stilsicheren Debütfilm THE WITCH, in dem er historisches Ambiente mit Sexualpsychologie und Volksmärchen zu einer spannenden Genrevariante verband. DER LEUCHTTURM setzt diesen Weg auf eindrucksvolle Weise fort. Das Skript wurde bereits parallel zum Erstling entwickelt, geht aber audiovisuell noch einen Schritt radikaler vor. In der eng kadrierten Academy Ratio im Seitenverhältnis 4:3 und dem körnigen Schwarzweiß bedient sich der Film einer Stummfilmästhetik, die er zugleich mit einer intensiven, dronebasierten Tongestaltung aufwertet.
Nahe Maine in den 1890er Jahren treffen der erfahrene Leuchtturmwärter Thomas Wake (Willem Dafoe) und sein gerade erst vom Holzfäller rekrutierter Gehilfe Efraim Winslow (Robert Pattinson) auf einer kleinen Insel ein. Entgegen der im Handbuch vorgesehenen Wechselschichten lässt Wake seinen jungen Kollegen nie das Licht des Turmes warten. Stattdessen lässt er ihn vor allem niedere Arbeiten verrichten. Die emotionalen Spannungen zwischen den isolierten Männern wachsen - aber zugleich wird ihr Verhältnis näher und intimer. In abendlichen Sitzungen gestehen sie sich ihre Geheimnisse und Visionen. Als die Ablösung naht, verhindert ein Sturm das Verlassen der Insel. Winslows Visionen werden beängstigender, was zu einer gewalttätigen Eskalation führt. Am Ende erklimmt er endlich das ersehnte Licht.
Robert Pattinson und Willem Dafoe tragen den Film in einer schauspielerischen Tour de Force. Über lange Strecken sind sie in intimen Nahaufnahmen zu sehen, was dieses klaustrophobische Geschehen dem Publikum intensiv nahebringt. Visuell arbeitet der Film mit harten Kontrasten und einem engen Schärfebereich, wodurch er die beklemmende Dichte der maskulinen Zwangsgemeinschaft betont. Die expressive Tongestaltung fügt diesen Bildern eine beklemmende Dimension bei, die auf „Field Recordings“ und tiefen Hörnern basiert.
In der Tradition von Ingmar Bergmans finsteren 1960er Jahren-Filmen verbindet DER LEUCHTTURM harschen Realismus mit visionären Momenten, die den Gothic Horror der 1930er Jahre und den deutschen Expressionismus beschwören. Die verstörende Imagination wird dabei aus der kosmischen Mythologie Howard Philipp Lovecrafts bezogen. Und es dürfte auch kein Zufall sein, dass der Film in Maine spielt, jenem Bundesstaat, der Stephen Kings Grauen beheimatet. Dabei bleibt stets offen, wann der Film eine physische Realitätsebene hinter sich lässt und die Welt des subjektiven Wahns betritt. Dieses unzuverlässige Erzählen durchzieht den Film bis zum Ende.
DER LEUCHTTURM spielt in den Gründungsjahren der USA und zeigt, wie sich Ideale der Aufklärung und Fragmente der Irrationalität zu einer tödlichen Mischung vereinen. Die Einsamkeit und Isolation schafft das Bedürfnis nach einer diffusen Transzendenz, die sich in einem heidnisch anmutenden Meereskult äußert.
Obwohl in der Jury eine Diskussion über die mögliche Selbstverliebtheit und Redundanz der Inszenierung entbrannte, die auch Robert Pattinsons Schauspielkunst kritisch beleuchtete, wurde der Film letztlich als eine herausragende Variation des Horrorfilms mit den Mitteln der Stummfilmästethik und der avantgardistischen Tongestaltung gewürdigt.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)