FBW-Pressetext:
Der Dokumentarfilm der Regisseurin Jennifer Baichwal reist in 20 Länder auf der ganzen Erde, um die Eingriffe des Menschen in die Natur festzuhalten. Baichwal und ihrem Team gelingen faszinierende Bilder, die die Ausmaße der Konsequenzen des menschlichen Handelns für das fragile Gleichgewicht der Erde deutlich machen.
Die große Ruhe und Kraft des Films liegt in seinen monumentalen Bildern, die Jennifer Baichwal und ihr Cutter Roland Schlimme lange stehenlassen. Als Zuschauer*in kann man sich komplett auf diese Bildsprache einlassen, die nur minimal von Alicia Vikander kommentiert wird. Von Bergen entsorgter Elefantenstoßzähne über die Marmorberge in Italien bis hin zu dem Braunkohleabbaugebiet im Hambacher Forst: Die ganze Welt wird zur Verantwortung gerufen - und kein Betrachter kann sich den ruhigen Anklagen der Bilder entziehen. Die Musik, die Rose Bolton und Norah Lorway komponiert haben, trägt zum Eindruck des jeweiligen Momentes bei. Auf diese Weise erzählen die Bilder eine Geschichte und setzen das Kopfkino des Betrachters, der über das Gezeigte reflektiert, in Gang. Mit seinem eindrucksvollen Bild- und Tonkonzept und seiner offenen, eine Reise um die ganze Welt umspannende Dramaturgie ist DIE EPOCHE DES MENSCHEN wie gemacht für die große Leinwand. Ein Film, der Denkanstöße geben kann und muss. Und der uns Menschen mahnt, mit unserer Lebensgrundlage vorsichtiger umzugehen.
FBW-Jury-Begründung:
Der kanadische Dokumentarfilm über die Epoche des Menschen (das Anthropozän) beginnt mit einem langen Blick in das Urfeuer - so scheint es zumindest. Erst spät wird deutlich, was wir hier tatsächlich brennen sehen: Die Zähne unzähliger Elefanten, getötet von Wilderern in Kenia. Um sie dem Markt zu entziehen, werden die Stoßzähne hier offiziell vernichtet.
Der assoziativ verknüpfte Film beleuchtet den meist zerstörerischen Einfluss des Menschen auf die Kreisläufe und Phänomene der Erde in intensiven Naturbildern, punktuell kommentiert von der Schauspielerin Alicia Vikander. In mehreren Kapiteln erleben wir mitunter hautnah die Konsequenzen des Anthropozäns, eine nachhaltige und brutale Veränderung der Erde. In Extraktion sehen wir den Raubbau der hochgradig verschmutzen sibirischen Stadt Nordisk, in der Stahl geschmolzen wird. Im italienischen Carrara wird der wertvolle Marmor brutal aus dem Bergmassiv gebrochen. Und im chilenischen Atacama, der trockensten Wüste der Erde, wird in Verdunstungsseen Lithium gewonnen. Terraforming führt uns ins deutsche Immerath, wo ganze Städte dem Braunkohle-Tagebau weichen müssen. Im kanadischen British Columbia fällt der Urwald der Holzwirtschaft zum Opfer - ebenso in Nigeria, wo die nackten Stämme im Wasser transportiert werden. Technofossils sind die menschengemachten Materialien (Plastik, Stoff, Metall, Elektronik), denen wir auf einer kenianischen Mülldeponie wieder begegnen. Anthroturbation dagegen bezeichnet die menschengemachten Tunnel: zu kontrapunktischem Jodelgesang wird der Gotthard-Tunnel eingeweiht, während in Russland, Florida und Texas rückhaltlos nach Rohstoffen gebohrt wird. Der Klimawandel ist überall spürbar, vor allem am steigenden Meeresspiegel, dem der kilometerlange Uferdamm von Gudong, China, entgegenarbeitet. Am Ende steht die Extinction, die komplette Auslöschung der Arten.
Die Filmemacher*innen Jennifer Baichwal, Nicholas De Pencier und Edward Burtynsky haben für ihren Film die halbe Welt bereist und mit modernen Kameras Beweise gesammelt und montiert, dass das Ende des Zeitalters des Menschen längst angebrochen ist. Dabei gelingen ihnen Bilder von beklemmender Schönheit, etwa Drohnenfahrten über die chilenischen Lithiumbecken, in denen das Wasser in psychedelischen Farben schimmert. Der Film ist nie belehrend, sondern breitet sein Material filmisch versiert aus, die Kommentare bleiben sparsam und pointiert.
Dabei reißt der Film viele Themen an, das meiste jedoch bleibt assoziativ und an eine Subjektivierung des Blicks und des Erlebens gebunden. Melancholische Klanglandschaften untermalen das Geschehen. Dabei verliert sich der Film hin und wieder in experimentellen Momenten (etwa der beschleunigten Reise durch den Gotthard-Tunnel), schafft so assoziative Atempausen und ermöglicht thematische Verknüpfung.
Die Jury war von der offenen Form des Films, seiner ästhetisch ausgereiften Audiovisualität und seiner starken Rahmung beeindruckt. Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass der Film nie belehrend wirkt, sondern die Verantwortung konstruktiv an das Publikum zurückgibt. Und das ist mehr, als man von einem Dokumentarfilm über die ökologische Krise der Welt erwarten kann.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)