Robert Ford erschoss Jesse James am 3. April 1882, in Jesses eigenem Haus, von hinten, als Jesse gerade ein Bild abstaubte. Ford, Mitglied in Jesses Bande, war gerade 20 Jahre alt. Seit seiner Kindheit verehrte er sein Idol Jesse James, den Outlaw, den Verbrecher, dessen Abenteuer in Zeitungen und Groschenromanen weit verbreitet wurden, der den Ruf hatte, ein Robin Hood der Südstaaten zu sein. Auf den ein Kopfgeld ausgesetzt war, das höher war als alles Geld, das die James-Gang je erbeutet hatte.
In seiner zweiten Hälfte wird der Film zu einem intensiven Drei-Personen-Stück zwischen Jesse James, Robert Ford und dessen Bruder Charlie, die eine neue Bande gründen und Banken überfallen wollen. Ein komplexes Beziehungsgeflecht besteht zwischen diesen, Jesse als Alphatier, das die Kontrolle hat, die Ford-Brüder schwanken zwischen freundschaftlicher Loyalität und Angst und Bob, das schwärmerische Jüngelchen, sehnt sich nach Ruhm, nach Anerkennung. Zwischen Faszination für Jesse James und der Enttäuschung durch dessen Zuürckweisungen entschließt er sich, Jesse der Polizei in die Hände zu spielen. Und bringt ihn schließlich um.
Woraufhin das Drama Robert Fords seinen Lauf nimmt, der sich Berühmtheit sichert, indem er seine Mordtat in ein Schmierentheaterstück vor stets ausverkauftem Haus nachstellt, und der feststellen muss, dass er als Verräter und Feigling gilt, weil er einen Kriminellen, der als Volksheld gefeiert wird, hinterrücks erschossen hat. Die Figur des Robert Ford, zwiespältig, komplex, hält den gesamten Film zusammen. Dieser schüchterne, unsichere Milchbubi, dieser naive Schwärmer, der immer von allen untergebuttert wird, der Kleine, der sich über all die Spötter so sehr erhaben sieht, der gerne im wirklichen Leben so wichtig wäre wie er sich fühlt, der die Freundschaft seines Idols Jesse James sucht, der enttäuscht wird und ihn dennoch weiter anhimmelt, dem dabei sein geltungssüchtiges Ego in die Quere komme: Casey Affleck spielt ihn ganz genau, jede Bewegung, jeder Blick aus verhangenen Augen sitzt, er geht ganz in seiner Rolle auf.
Brad Pitt, ebenfalls hervorragend in seiner Rolle, gibt seinen Jesse James als Übervater, als undurchschaubares Phantom, als unberechenbare, bedrohliche Lichtgestalt, die mehr und mehr messianische Züge annimmt. Es scheint und hier übernimmt der Film bewusst die pubertär-schwärmerische Sicht von Ford , als wisse er wie Jesus um den Judas in seiner Nähe, er schenkt Ford den Revolver, mit dem er zwei Tage später erschossen wird, nach einem letzten Frühstücksmahl legt er erstmals in seiner Verbrecherlaufbahn seinen Pistolengurt ab vor dem finalen Schuss.
Dem intensiven zweiten Teil des Films geht die detaillierte Beschreibung des Beziehungsgeflechtes voraus, aus dem die Motivation des Mordes erwächst. Die James-Gang in Auflösung, gezeichnet von inneren Spannungen zwischen den Mitgliedern, an deren Rand sich Robert Ford befindet: Das gerät dem Regisseur mitunter sehr verzettelt, ein allzu episodisches wenn auch offenbar historisch genaues Abspulen von kleinen Geschichten, die die große Geschichte von Bob und Jesse beeinflussen. Doch das ist eben doch zu viel, lenkt allzu sehr ab von der Zweierbeziehung Bob-Jesse, die das Rückgrat des Filmes bildet, und von deren permanentem Wechselspiel zwischen Überlegenheit, Ruhm, Freundschaft, Schwärmerei, Ego.
Die Chronik der historischen Wahrheit beißt sich hier einerseits mit einer stringenten Dramaturgie, andererseits mit der mythischen Überhöhung, die der Film Jesse James angedeihen lässt. Eine Divergenz, die sich auch offenbart im Zusammen- (oder Gegeneinander-)Spiel von Voice-Over-Erzählung und den Bildern, die wir sehen. Da wird Jesse James vom Erzähler als körperliches Wrack geschildert, voll Paranoia und Depressionen; doch das sieht man den Bildern nicht an, hier spielt Pitt vor allem James Souveränität aus, seine Selbstinszenierung zwischen Bedrohlichkeit und Jovialität, bei dem Scherz unvermittelt, blitzartig in Brutalität und wieder zurück umschlagen kann.
Dabei wird freilich auch nicht der Unterschied zwischen Legende und Wirklichkeit ausgespielt, beide Ebenen die Kommentierung wie die Bilderzählung enthalten Elemente sowohl der Überhöhung als auch der realistischen Akkuratesse. Und wenn erzählt wird, dass Jesse James wegen chronischer Augenentzündung ständig habe blinzeln müssen, und man dann Brad Pitt sieht, der stets wachsam und mit offenen Augen seine Umwelt beobachtet, wird eine Spannung deutlich, die so vielleicht nicht gewollt war.
Doch auch wenn Regisseur Andrew Dominik hier gelegentlich zuviel unter den Hut stecken will, so ist doch jenseits der genauen Charakterisierung, dem konzisen psychologischen Porträt, jenseits der Ambivalenz der Figuren, der Qualität ihrer Darstellung, der Beziehungsstudie zwischen dem Outlaw und seinem Mörder sein Film auch eine bezwingende Reise ins Amerika der 1880er Jahre. Nicht in den Wilden Westen, sondern nach Kansas und Missouri, wo die Zivilisierung vollzogen ist und die Verstädterung fortschreitet. Wo Berichte von Outlaws als letzte Bastion eines unbürgerlichen Individualismus von den arrivierten Städtern begeistert aufgenommen werden, wo Westernlegenden faszinieren, weil sie mit dem wirklichen Leben in den Südstaaten nichts mehr gemein haben. Wo in einer Szene ein Hochrad an der Wand lehnt und andeutet, dass auch Pferde bald nicht mehr zum Stadtbild gehören werden.
Fazit: Der Film, der sich in seiner ersten Hälfte etwas im Beziehungsgeflecht der James-Gang-Mitglieder verzettelt, wird immer spannender, wenn er sich mehr und mehr zu einem bezwingenden psychologischen Doppelporträt aus Täter und Opfer entwickelt.