Eine ganz normale Familie. Uwe ist Polizist, arbeitet im Schichtdienst. Christine ist zuhause und kümmert sich um die kleine Tochter Clara. Doch die gemeinsamen Familienausflüge, die Spieleabende und die harmonischen Abendessen in der Küche können nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Idylle nur Fassade ist. Denn immer schneller wirkt Uwe gereizt und reagiert aggressiv, immer ängstlicher und unsicherer wirkt das Kind und immer mehr blaue Flecken zeigen sich auf Christines Armen und Beinen. Eine Spirale dreht sich nach oben. Ohne Ausweg. Philipp Gröning ist mit DIE FRAU DES POLIZISTEN eine bedrohlich intensive und verstörende Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt in der Ehe gelungen. Dabei zeigt er die Brutalität des Ehemanns nie direkt. Seine Bilder aber von dem mit blauen Flecken übersäten Körper der Frau sprechen eine deutliche Sprache und lassen das Kino im Kopf des Zuschauers weiterlaufen. Wie eine zusätzliche Hauptfigur fungiert dabei das Setting. Ein kleines Backsteinhaus, mitten in der Dorfgemeinschaft und doch isoliert von der Außenwelt, zeigt die Enge und Unausweichlichkeit der Situation, aus der Christine keine Flucht gelingt. Dagegen stehen die äußerst sensibel inszenierten Szenen der innigen Nähe zwischen Mutter und Tochter. Der annähernd dokumentarische Stil und die konsequente Einteilung in kurze Kapitel, die durch Schwarzblenden voneinander abgesetzt werden, wahren die emotionale Distanz zum Geschehen. Doch entziehen kann sich der Zuschauer dennoch nicht. Durch das Auge der Kamera wird er zum hilflosen Betrachter einer Situation, die eskaliert. Ein beklemmender und beeindruckender Film, der sich einer Schwarz-Weiß-Zeichnung verweigert und den Zuschauer in jeglicher Form herausfordert.
Jurybegründung:
Der Regisseur, Autor, Kameramann und Cutter Philip Gröning hat viele Gespräche mit Frauen über häusliche Gewalterfahrungen geführt, heißt es im Abspann seines Films. Für dieses Thema entwickelte er daraus ein sehr eigenwilliges, intensiv wirkendes Filmkonzept, das wie auf einem Seziertisch eine Kleinfamilie in alltäglichen Abschnitten zeigt. In 59 Tableaus erhalten wir einen nahezu lähmenden Blick auf schleichende, zunächst kaum merkbare Veränderungen von der scheinbaren Idylle bis hin zur Katastrophe.
Uwe ist Polizist, zusammen mit seiner Frau Christine kümmert er sich liebevoll um Tochter Clara. Sie bewohnen ein kleines, etwas beengtes Haus in einer ebenso beengenden Backsteinsiedlung einer Kleinstadt. Tagsüber ist Christine alleine mit dem Kind, Außenkontakte fehlen völlig. Auseinandersetzungen, Kontrollzwänge des Ehemanns, später auch heftige Streitigkeiten nehmen zu. Ein Ausweg ist nicht in Sicht.
Die Kamera bleibt nahe an den Personen, eigenwillig und beharrlich verweist sie auf die klaustrophobische Situation. Wie ein präziser Beobachter nimmt sie Veränderungen wahr. Auf dem Körper der Ehefrau zeigen sich blaue Hämatome, ohne dass wir ihre Herkunft miterlebt haben. Jetzt deuten wir die angelegten Spuren der Gewalt in den ersten Tableaus aus einer anderen Perspektive. Das Armdrücken als Kräftemessen, das zunächst nur wie ein Spiel des Paares wirkte, das Erschießen eines angefahrenen Rehs als normale Aufgabe eines Polizisten, der tödliche Unfall auf der Straße, den Uwe fotografieren muss. Die Pistole, die er offen ins Regal legt. Sein Kontrollwahn im Alltag. Die 4-jährige Clara, die im kindlichen, unbeobachtenden Spiel in die martialisch wirkenden Uniformteile des Vaters und dazu noch in das Hochzeitskleid der Mutter schlüpft und damit auf die leere Straße der Kleinstadt läuft. Unbewusst übernimmt sie beide Rollen der Eltern. Sie entwickelt Angst vor den kleinen Tieren im Stoffmuster ihres Schlafanzugs. Christine, die in der Spirale der Gewalt ihres Mannes seine Nähe sucht und nicht in der Lage ist, sich zu von ihm zu lösen. Ihre Verzweiflung und Ängste stehen im engen Bezug zur Verbindung mit ihrer Tochter, was wiederum die Eifersucht des Ehemanns schürt. Es sind ergreifende Pfade, die jeweils Teile der Unausweichlichkeit eines Dramas abbilden.
Vieles bleibt im Dunklen, beispielsweise die Rolle des alten Mannes, nicht eingebunden in die Geschichte der Kleinfamilie. Er lebt einsam den kargen Alltag in seiner Wohnküche. Ist es der Vater, die Zukunft des Polizisten oder nur ein Sinnbild der Vereinsamung? Isolierung und Abschottung von der Außenwelt als Teil des Problems der sozialen und kommunikativen Verarmung, die den Film prägt?
Mit drei Stunden ist DIE FRAU DES POLIZISTEN natürlich ein langer Film, der Geduld vom Zuschauer erwartet. Ab- und Aufblenden zählen die 59 Kapitel des Films mit, nehmen das Tempo, lassen Zeit zum Nachdenken, wirken wie eine Brecht’sche Illusionsbrechung, damit sich die Teile dennoch zu einem Ganzen binden. Die Kleinfamilie als Keimzelle des Bösen. Eine großartige hautnahe Kamera mit ungewöhnlicher Zeichen setzender Genauigkeit und, hervorragend überzeugend, das fast dokumentarisch wirkende Spiel der drei Protagonisten.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)