Die goldenen Jahre: Köstliche und erfrischend subversive Komödie um ein Paar, das den Ruhestand mit einer gemeinsamen Kreuzfahrt feiern will, das aber noch mal ganz von vorn anfängt.
Köstliche und erfrischend subversive Komödie um ein Paar, das den Ruhestand mit einer gemeinsamen Kreuzfahrt feiern will, das aber noch mal ganz von vorn anfängt.
Gleich zu Beginn des französischen Films „
Alles was kommt“ lässt Regisseurin Mia Hansen-Løve ihre von Isabelle Huppert gespielte Heldin sagen: „Wenn man älter als Vierzig ist, kann man eine Frau auch gleich auf den Müll schmeißen.“ Um danach einen Film zu machen, der zwar zeigt, dass die Gesellschaft vielleicht so denken mag, sich niemand in diesem Alter aber daran halten muss. Das Leben und wie man es führt, darum geht es auch in der köstlichen und erfrischend subversiven neuen Regiearbeit der Schweizer Filmemacherin Barbara Kulcsar, die mit einem Drehbuch ihrer Kollegin Petra Volpe arbeitet und nicht einen Moment mit Hülsen und Floskeln, mit nichtssagenden Durchhalteparolen arbeitet. Kein „60 Jahre und kein bisschen weise“, keine Verweise auf „Best-Ager“ oder „Silberfüchse“, nichts, was nach Altersheim und Kukident riechen würde.
Weil die Hauptfiguren hier zwar die 65 überschritten haben mögen, ihre Haltung zum Leben aber mehr aussagt über generelle menschliche Erfahrung als über ihr Alter, auch wenn eine Pensionierung das Schlüsselereignis ist, das die Handlung des Films auslöst. Ein Film, in dem es nicht um Abschluss und ein finales Aufräumen geht, sondern um Suche und Neuorientierung, um Lebenshunger und lust for life. Und wie verwirrend und lustig und überraschend und bitter das sein kann, wenn man bereits mehr als das halbe Leben miteinander verbracht hat wie das Ehepaar Alice und Peter, das nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Arbeitsleben bei einer ihnen von ihren Kindern geschenkten Kreuzfahrt wieder richtig zueinander finden will, was sich aber schwieriger gestaltet als erwartet.
Was etwas plakativ beginnt mit einer Ansammlung zeitgeistiger Klischees, in denen die moderne Welt auf gelebtes Leben prallen, lässt Oberflächliches spätestens in dem Moment zurück, in dem das Kreuzfahrtschiff ablegt, und entwickelt sich zu einem faszinierenden Charakterporträt einer Frau, die kurzentschlossen das Ankerseil kappt, bildlich zumindest: Alice geht in Marseille von Bord und blickt nicht zurück, das Abenteuer liegt vor und nicht hinter ihr.
Esther Gemsch könnte man stundenlang zusehen, ohne dass es langweilig werden würde. Ihre Neugier ist ihr festgeschrieben in ihren Zügen, in ihrer Körperhaltung, in ihren Bewegungen. Mit dieser Frau geht man überall hin, auch wenn es einen zu einem Bauernhof eines feministischen Kollektivs führt und Erkenntnissen, wie man auch unkonventionell einander verbunden bleiben kann. Der Blick des Films macht es seinen Protagonisten nach: Er ist wach und unvoreingenommen, interessiert an all dem, was da noch passieren mag. An Gemschs Seite liefert auch Stefan Kurt eine Glanzleistung als in seinen Gewohnheiten feststeckender Mann, dem die Rente mehr den Boden unter den Füßen wegzieht, als er es wahrhaben will. Sein Weg im Film ist weniger aufregend und körperlich, aber nicht minder transformierend: Am Ende stehen zwei Eheleute, die einander nicht erkennen würden, hätte man ihnen zu Beginn des Films Fotos von sich vom (zwischenzeitlichen) Ende ihrer Reise gezeigt. Ohne dass der so genau und liebevoll beobachtete Film dabei schummeln würde: Was er erzählt, ist genuin, alle Entwicklungen erscheinen zwingend. Als Zuschauer ist man blendend unterhalten davon, weil man sich wiedersieht in den Figuren, egal wie alt man selbst sein mag.
Thomas Schultze.