Eine moderne Familiensaga, das Epochenbild dreier Generationen, ein Science-Fiction im heute und hier. Die ungleichen Schwestern Laura und Cecilia wollen nicht dasselbe vom Leben: Während Laura brav ihr Studium absolviert hat und nun ein bürgerliches Leben mit Familie und Karriere führen will, möchte Cecilia die Welt verändern, zusammen mit ihrem rebellischen Freund Constantin. Beide Frauen gehen im Laufe der Jahre ihren Weg: Und während die Welt in eine nicht abzusehende Katastrophe abdriftet, erleben beide, zusammen mit ihrer Familie und ihren Freunden, die ganz eigene Apokalypse. Der Film von Lars Kraume ist bewusst nicht in der fernen, sondern in der ganz nahen Zukunft angesetzt. Und genau deswegen nimmt er den Zuschauer so mit. Dabei konzentriert sich die Handlung nicht zwingend auf einen zunehmend globalen Terrorismus und die Umbrüche in der Gesellschaft. Vielmehr sehen wir, wie sich das Große im Kleinen abbildet. Familie als Mikrokosmos. Überzeugende Darsteller, allen voran Bernadette Heerwagen und Johanna Wokalek, die exzellente Kameraarbeit und eine stimmige Handlung vermitteln ein bedrohlich realistisches Gesellschaftsbild. Der Film geht unter die Haut und bringt es auf den Punkt: Es kann uns allen passieren - bald schon.
Jurybegründung:
In Lars Kraumes abendfüllendem Spielfilm DIE KOMMENDEN TAGE brechen unruhige Zeiten an: In 130 Minuten werden wir zu mehr oder minder engen Begleitern der fünfköpfigen Familie Kuper, an deren Schicksal sich die großen Umwälzungen globalen Ausmaßes von heute bis in eine nahe Zukunft brechen. Im Zentrum stehen die beiden Schwestern Laura und Cecilia, Biologiestudentin die eine, Philosophiestudentin die andere. Art und Umfang ihres Interesses für Gesellschaft und Politik sind unterschiedlich, und die Wahl ihrer Freunde spiegelt dies: Cecilia geht mit Konstantin Richter, einem politischen Aktivisten, eine stürmische Beziehung ein, die sie bald in den Untergrundkampf der Schwarzen Stürme führt; Laura vertraut auf die Folgerichtigkeit einer sich im großen wie im kleinen heilsam vollziehenden Evolution und verliebt sich in den hochintelligenten, aber allmählich erblindenden íko-Anwalt Hans Krämer. So sehr sich Laura um Bewahrung des Status Quo bemüht und die Gründung einer Familie anstrebt, so sehr schlägt sich Cecilia auf die Seite einer diffusen Revolutionsliga, die irgendwann den Schritt von subversiver Manipulation des Internets zu handfesten, politischen Morden tun muss. Kraume bettet diese Entwicklungen in einen reich facettierten Rahmen eines unheilvoll aufziehenden Krisenszenarios, das über lustvolle Flashmob-Aktionen und deutliche Zunahme von Armut und Versorgungsengpässen stufenweise skandiert wird und in brachialer Abschottung der letzten Wohlstandseliten durch Militär, Wachdienste und schließlich eine befestigte Mauer um Zentraleuropa seinen radikalsten Ausdruck findet.
Es ist ein Weltbrand, den Autor und Regisseur Kraume hier entwirft, und die forsche Tonart, mit der er seinen Entwurf titelgebend als das Kommende (und eben nicht nur als eine mögliche Variante) postuliert, ist angenehm gedämpft durch sein Stilmittel der Andeutung, mit dem er vieles umreißt, um gleichzeitig vieles offen zu lassen. Die Prämissen, auf denen sein Szenario fußt, sind heute Tagesgeschehen; die fein tarierte Übertreibung, mit der er das Heute in die Filmhandlung hinein verlängert, hält das Geschehen auf dem Spielfeld des Wahrscheinlichen.
Der Ansatz, die Welt der (nahen) Zukunft von den Mitgliedern einer Familie durchspielen zu lassen, folgt einem gewissen Modellschematismus: Die beiden Schwestern haben dasselbe Problem, sich von den Verfehlungen ihrer reichen und einflussreichen Eltern abzusetzen, wobei ?Familie‘ und ?Staat‘ in diesem Setting freilich zur metaphorischen Analogie erhoben sind. Zu den sich von einander entfernenden Lösungswegen der Schwestern zwischen überhitztem Terrorismus und bürgerlich-hermetischen Konservativismus bildet der Weg ihres schwächlichen Bruders, der zum Militär gehen wird, eine weitere Alternative. Kraume zeigt variantenreich, dass all diese Wege und Optionen nur bedingt lösungsversprechend sind, dass sie schließlich alle ins weitere Chaos führen, wie das offene Ende andeutet. Vielleicht ist dies so, weil ohne die Kenntnis der Vergangenheit keine Zukunft möglich ist, wie Konstantin zu Beginn des Films erklärt, und tatsächlich haben alle Figuren die Vergangenheit betreffend ihre blinden Flecken.
Sicherlich hat der Film in der angestrebten Bandbreite der Bilder und Modelle eine gewisse Thesenhaftigkeit, die eine emotionale Involviertheit des Zuschauers nicht immer im vollen Maße zulassen mag; und nicht jede erreichte Etappe im Ablauf der immer chaotischeren Lebenswege kommt ohne Stereotypisierungen aus. Gleichwohl überzeugt der Film insgesamt durch seinen langen Atem, nicht zuletzt etwa in Details des Szenenbildes, der Figurenzeichnung und der Kameraarbeit.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)