Noch immer vermisst der kleine Junge Ben seine Mutter, die vor Jahren von einem auf den anderen Tag ganz plötzlich verschwand und ihn, seinen Vater und seine kleine Schwester Saoirse einfach zurückließ. Ben ist seitdem sehr traurig und denkt viel zurück an die Zeit, als seine Mutter ihm die herrlichsten Geschichten und Märchen erzählte. Märchen von verwunschenen und verzauberten Unterwasserwesen, die sich in der wilden rauen irischen See tummeln. Auch Saoirse hört diese Märchen gern und würde gerne mehr Zeit mit ihrem großen Bruder verbringen. Doch der ist nur genervt. Schließlich kann Saoirse nicht sprechen und auch sonst ist seine kleine Schwester für ihn eher Zeitverschwendung. Doch was er nicht weiß: In Saoirse schlummert ein unglaubliches Geheimnis. Mit DIE MELODIE DES MEERES entführt der irischen Filmemacher Tomm Moore kleine und große Zuschauer in die Welt der Sagen, Mythen und der Magie. Vom ersten Bild an ist man verzaubert. Der Animationsstil ist fantasievoll und hebt sich von bekannten Standards ab. Dazu arbeitet die europäische Koproduktion DIE MELODIE DES MEERES mit einer Vielzahl von Farb- und Lichtspielen, die den Zuschauer sofort in ein liebevoll gezeichnetes Universum eintauchen lässt. Als Vorlage dienen die unzähligen Mythen, Legenden und Sagen der keltischen Tradition, aus denen die geheimnisvollen Wesen entnommen sind, die die Welt von Ben und Saoirse bevölkern. Diese sind mal lustig, mal mysteriös, mal skurril gezeichnet. Immer aber mit liebevollen Eigenschaften, die die Figuren schnell ans Herz wachsen lassen. Dass am Ende alles gut ausgeht, liegt auch und vor allen Dingen am Zusammenhalt der Geschwister, die im Laufe der Geschichte zueinander finden und sich gegenseitig unterstützen und helfen, komme was wolle. Dies ist nur eine der positiven Botschaften des Films, die auf ganz beiläufige Weise ohne erhobenen Zeigefinger transportiert werden. Eine andere ist, immer an die Kraft und die Magie der Geschichten zu glauben. Denn diese können Welten retten. Ein wunderschönes poetisches Filmmärchen für die ganze Familie.
Jurybegründung:
Im heutigen Irland ist die keltische Mythologie, auf der die Tradition und Kultur des Landes basiert, an den Rand gedrängt. Und so existieren ihre halb vergessenen Fabelwesen nur noch in wenigen Zufluchtsorten wie dem Dekorationsbau in der Mitte eines Kreisverkehrs in Dublin, einem Brunnen oder einer verfallenen Steinhütte auf einem Feld. Und an der Küste, wo der kleine Ben mit seiner jüngeren Schwester und seinem Vater in einem Leuchtturm wohnt. Seine Mutter verlor er bei der Geburt der kleinen Saoirse, und auch darum ist er meist wütend auf das Mädchen, das kein Wort spricht und wie ein Klotz an seinem Bein hängt. Doch eines Nachts folgt sie den Rufen der Seehunde, schwimmt mit ihnen aufs Meer hinaus und verwandelt sich in eine kleine weiße Robbe, denn wie ihre Mutter ist sie eine Selkie, ein Wesen halb Mensch und halb Seehund. Als das kleine Mädchen nach diesem Ausflug erschöpft am Strand gefunden wird, besteht ihre Großmutter darauf, dass die beiden Kinder mit ihr zusammen nach Dublin fahren, weil es an der Küste zu gefährlich für sie ist. Und nachdem dann offenbart wird, dass Saoirise zurück ins Meer muss, weil nur sie als letzte Selkie die magische Welt vor dem Untergang bewahren kann, hilft Ben ihr mit viel Mut und Geschick.
Tomm Moore erzählt diese Geschichte aus der Perspektive des kleinen Ben heraus, der ganz im modernen Leben eines irischen Jungen verwurzelt scheint, Musik hört und mit seiner kleinen Schwester nichts anfangen kann. Nur langsam verwandelt sich die Welt vor seinen und unseren Augen in einen verzauberten Ort. Moore hat den Film in einem klaren, sehr poetischen Zeichenstil animiert, der wie ein Gegenentwurf zu den aufwendigen Computeranimationen aus Hollywood wirkt und eher an die Zeichentrickfilme des japanischen Ghibli-Studios erinnert, dabei aber der Ikonografie der keltischen Sagen mit feenartigen Frauen und bärtigen Männern treu bleibt. Moore erzählt mit einem skurrilen, sehr irischen Humor, wenn er etwa den großen mythischen Erzähler Seanchaí, dessen lange Haare aus Geschichten bestehen, als einen verfilzten Greis zeigt, der alles sofort wieder vergisst. Wie ein kleines Kind freut er sich über den geschenkten Walkman, den Ben angesichts der Wunderwelt, die er durchreist, nicht mehr braucht. Mit Ben und Saoirse als jungen Helden, die lernen, einander, ihrer eigenen Stärke und ihrer Fantasie zu vertrauen, ist dies ein sehr kindgerecht erzählter Familienfilm, der durch seine liebevolle und einfallsreiche Animation auch die Erwachsenen bezaubern kann.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)