Die Welt steht still: Grimme-Preisträgerin Dorothee Schöns beschreibt in ihrem Drehbuch zu dem Corona-Drama den Pandemiealltag in einem Krankenhaus.
Grimme-Preisträgerin Dorothee Schöns beschreibt in ihrem Drehbuch zu dem Corona-Drama den Pandemiealltag in einem Krankenhaus.
Lange Zeit hat das Fernsehen in seinen Filmen und Serien so getan, als sei die Welt weitgehend in Ordnung: Die Pandemie fand schlicht nicht statt. 2020 war das so, weil die ausgestrahlten Produktionen größtenteils bereits vor Corona entstanden sind, aber bis auf ganz wenige Ausnahmen herrschte auch in diesem Jahr nur hinter der Kamera Maskenpflicht: Das Fernsehen hilft gern bei der Flucht aus der Wirklichkeit, weshalb die Sender ihr Publikum nicht auch noch in den fiktionalen Geschichten mit Corona behelligen wollten.
„Die Welt steht still“ ist tatsächlich der erste Fernsehfilm, der sich um kein anderes Thema dreht: Das Drehbuch von Grimme-Preisträgerin Dorothee Schön schildert den Pandemiealltag in einem Krankenhaus. Die Handlung beginnt Silvester 2019, als noch niemand ahnte, welches Chaos nur wenige Monate später herrschen würde. Carolin Mellau (Natalia Wörner) freut sich auf den Sommer, wenn die zermürbende Zeit als Intensivärztin im Konstanzer Klinikum hinter ihr liegen wird, aber das Leben hat andere Pläne: „Da kommt ein Tsunami auf uns zu“, fürchtet ihr Chef einige Wochen später. Die Bilder aus Bergamo bestätigen die düstere Prognose. „Bereitet euch auf einen Krieg vor“, warnt ein Straßburger Arzt (Nikolai Kinski) die Kollegin im Frühjahr. Der Franzose hat eine Patientin an den Bodensee begleitet, weil im Elsass keine Beatmungsplätze mehr frei sind. Im Thriller-Stil eines Countdowns informieren Einblendungen regelmäßig darüber, wie lange es noch dauern wird, bis auch in Konstanz der erste Mensch an dem Virus sterben wird.
Sehenswert ist „Die Welt steht still“ vor allem wegen der ungeschönten Schilderung der enormen Belastung für das Krankenhauspersonal: hier die wachsenden Spannungen, weil es von allem zu wenig gibt und ständig improvisiert werden muss, dort die verzweifelten Bemühungen, Leben zu retten. Schön konnte sich auf Informationen aus erster Hand verlassen: Ihre Tochter arbeitet als Intensivmedizinerin und Anästhesistin im Konstanzer Klinikum. Deutlich weniger gelungen ist der Versuch, die Begleiterscheinungen der Pandemie möglichst umfassend abzubilden. In dieser Hinsicht wirkt das Drehbuch mitunter, als habe die Autorin eine Checkliste abgearbeitet.
Im familiären Umfeld der Ärztin sind die Rollenentwürfe plausibel: Stefan Mellau (Marcus Mittermeier) ist Kammermusiker und muss seine Tournee absagen; der Freund von Tochter Luzy (Lilly Barshy) wohnt im schweizerischen Kreuzlingen, die Liebenden trennt nun ein Grenzzaun. Ungleich klischeehafter ist dagegen die Figur des unvermeidlichen Corona-Leugners: Ein Nachbar (Klaus Pohl) hält das Virus erst für eine Erfindung, die den Reichtum von Bill Gates mehren soll, dann für eine israelische Biowaffe. Seine Tiraden enthalten von „Gesundheitsfaschismus“ bis „Staatsmedien“ alle Schlagwörter der „Querdenker“ und Impfgegner. Während den Bildern aus der Klinik anzumerken ist, wie sehr Regisseur Anno Saul um Authentizität bemüht war, wirken die meisten Privatgespräche über die Pandemie und ihre Folgen akademisch und aufgesetzt.
Deutlich gelungener sind anrührende Momente wie jener, als die Französin aus dem künstlichen Koma erwacht und Carolin ihr mitteilen muss, dass ihr Mann die Infektion nicht überlebt hat. Trotz des emotionalen Potenzials dieser Szenen bleibt Saul, der in den letzten Jahren neben diversen Reihenkrimis auch die zweite „Charité“-Staffel inszeniert hat, seinem beobachtenden Stil treu. Der Film ist im Frühjahr 2021 entstanden, Konstanz steckte im „Lockdown“ der dritten Welle und somit in der gleichen Lage wie zwölf Monate zuvor; perfekte Voraussetzungen für das Drehteam, das zudem viele schöne Stimmungsbilder vom Bodensee eingefangen hat. Im Klinikum konnte selbstredend nicht gedreht werden; als „Double“ fungierte ein wegen Insolvenz geschlossenes Krankenhaus in Weingarten.
Tilmann P. Gangloff.