Artikel und Videos über Filmfehler gehören zu den beliebtesten Inhalten im Netz. Wenn Hollywood patzt, wird laut gelacht. Der Autor hat das nie verstanden. Wer sich in Filmen auf irrelevante Details konzentriert, zerstört damit die Magie des Kinos.
Ein Freund klingelt an der Tür. Aufgeregt präsentiert er ein Geschenk. „Für dich“, sagt er mit großen, leuchtenden Augen. Stolz erfüllt seine Stimme. Die letzten vier Jahre habe er ununterbrochen daran gearbeitet, sagt er. Nun sei endlich der große Moment gekommen. „Mach es ruhig auf“, sagt er, als er dir das Präsent erwartungsvoll überreicht. Du nimmst das Paket entgegen, schaust auf, blickst deinem Freund tief in die Augen und antwortest kalt: „Ha, Ha! Dein Schnürsenkel ist offen, verpiss dich gefälligst“.
Niemand würde so etwas tun. Versteht sich von selbst. Es wäre ja auch sehr unhöflich. Ziemlich undankbar und unverhältnismäßig kleinlich ohnehin. Um genau zu sein, wäre eine derartig pedantische Häme sogar eine recht asoziale Reaktion. Wen interessiert schon der offene Schnürsenkel. Ist ja eine Bagatelle. Leider lässt sich mit diesem Gedankenspiel ganz gut beschreiben, was sich hinter der um sich greifenden Internet-Manie rund um das Thema „Filmfehler“ verbirgt.
Hauptsache Fail: Die digitale Treibjagd auf Filmfehler
Seit vielen Jahren erfreuen sich Artikel, Bilderstrecken und Videos, die fehlerhafte Details in Hollywoodfilmen hervorstellen, enormer Beliebtheit. Jeden Tag werden es ein paar mehr. Ungereimtheiten auf Nummernschildern, Defekte an Kleidungsstücken, bis dato unbemerkte Anschlussfehler und kaum zu erkennende Hintergrunddetails werden massenhaft mit dicken, roten Pfeilen und Kreisen versehen, um sie den erheitert-hämischen Netz-Kommentatoren zum Fraß vorzuwerfen. Wenn man bei Minute 87:12 auf Pause drückt, ist am rechten Bildrand für eine halbe Sekunde der kleine Finger vom Kameramann zu sehen. Krasser Fail!
Filmfehler sind so populär geworden, dass selbst ein Meilenstein wie „Ben Hur“ in erster Linie für seine historisch inakkurat aufblitzende Armbanduhr erinnert wird. Dass der Streifen seinerzeit elf Oscars einheimste und das moderne Action-Kino maßgeblich beeinflusste, gerät dagegen zunehmend in Vergessenheit. Fail sticht Film.
Ganze Portale und YouTube-Channels haben sich rund um das lukrative Geschäft mit den Filmfehlern formiert und produzieren täglich neue Inhalte. Minuziös wird hier jeder Frame nach etwas irgendwie Fehlerhaftem gescannt. Es sind dabei vor allem die Zuschauer selbst, die auf den entsprechenden Plattformen zur unbarmherzigen Treibjagd auf die „Goofs“ genannten Fauxpas aus Hollywood blasen.
Privatarmee aus Pedanten
Die spitzfindige Jagdgemeinschaft nimmt es bei ihrer „Arbeit“ ganz genau. Jede Inkorrektheit, jede kleine Unachtsamkeit, jede minimale Verfehlung, egal wie nebensächlich oder unwesentlich, wird zunächst kleinkariert beschrieben und entlang unterschiedlicher Fehlergattungen klassifiziert. Eine falsche Handbewegung in „Full Metal Jacket“, ein deplatzierter Cowboy-Hut in „Fluch der Karibik“, eine komische Kapuze in „Braveheart“ und eine unstimmige Besenbewegung in „James Bond: Skyfall“ – wenn die pedantische Privatarmee ermittelt, ist kein Hollywoodstreifen sicher.
Die bedauerlichen Fundstücke, die die Perfektionisten bei ihrer sorgfältigen Sichtung zu Tage fördern, werden automatisch einem größeren Publikum vorgestellt und landen nach entsprechendem Rating schließlich auch auf den großen Film- und Nachrichtenseiten. Wo sie immer gut geklickt werden. Wie gesagt, Filmfehler-Content ist extrem beliebt.
Warum sind Filmfehler so beliebt?
Aber warum? Die Frage muss doch bei einem derartig zweifelhaften Vergnügen gestattetet sein. Immerhin assoziieren wir mit Pedanterie normalerweise absolut nichts Gutes. Im Gegenteil. Wer sich regel- und übermäßig über die Fehler anderer lustig macht, ist nach gängiger Meinung eher ein Fall für den Psychiater.
Tatsächlich gibt es im Bereich der Persönlichkeitsstörungen eine ziemlich genaue Entsprechung für das Verhalten, das weite Teile der Netzgemeinde in puncto Filmfehler täglich an den Tag legt. Menschen mit einer sogenannten anankastischen Persönlichkeitsstörung legen nämlich „übermäßigen Wert auf die sorgfältige Einhaltung von Regeln und schenken nebensächlichen Details nicht nur eine außergewöhnliche Beachtung, sondern überprüfen diese auch zwanghaft auf mögliche Fehler hin“. Wer Spaß an Filmfehlern hat, ist also psychisch krank?
Lassen wir die Kirche im Dorf. So weit muss man gar nicht gehen, um diesen übertriebenen Perfektionismus etwas befremdlich zu finden. Es genügt schon, ein bisschen Ahnung vom Filmemachen zu haben.
Hollywood nimmt Fehler gern in Kauf
Fragt man nämlich die Filmschaffenden selbst, wie sie zu Filmfehlern stehen, bekommt man erstaunlich gelassene Antworten zu hören. Hier schmunzelt man milde über die spießigen Pedanten, die sich ewig an einer kaputten Windschutzschiebe aufhängen, statt sich vom Film mitreißen zu lassen.
Einem guten Filmeditor etwa müssen Filmfehler sogar egal sein. So gibt es in der Branche ein klar definiertes Regelwerk, welches die unterschiedlichen Aspekte einer zu montierenden Szene priorisiert. Zuerst kommen dabei immer die Gefühle. Emotionen sind das A und O des Filmmachens. Transportiert eine Szene also den gewünschten emotionalen Effekt, wird alles andere hintenangestellt.
Es folgen narrative Elemente, die Story muss ja schließlich funktionieren, sowie der allgemeine Rhythmus einer Szene. Erst dann folgen technischere Aspekte wie Achsensprünge, das Achten auf Blickrichtungen und eben der Handlungsraum, in welchem sich die zu schneidende Szene abspielt. Im Letzterem finden sich naturgemäß die meisten Filmfehler.
Übersetzt bedeutet das: Wenn sich bei der Sichtung des gefilmten Materials ein Fehler findet und dieser Fehler sich in einem der untergeordneten Segmente befindet, dann nehmen professionelle Filmemacher diese Fehler immer gern in Kauf. Die Aufnahme mit der besten schauspielerischen Leistung, der packendste, aufregendste, intimste Take wird die nebensächlichen Filmfehler, über deren Fund sich die Pedanten so engherzig freuen, immer übertrumpfen. Der Fehler ist einkalkuliert. Man versucht ihn in Hollywood zwar zu vermeiden, nimmt ihn aber ultimativ nicht so wichtig wie die Filmfehler-Community.
Filmfehler sind etwas Wundervolles!
Und das ist auch gut so. Würde das Gegenteil doch bedeuten, dass wir fast nur noch Filme zu sehen bekämen, in denen das unwesentliche Hintergrundgeschehen lupenrein und das Wesentliche ziemlich grauenvoll wäre. Das kann niemand wollen.
So gesehen, hat das pedantische Rumreiten auf fehlerhaften Nebensächlichkeiten dann auch eine etwas tragische Note. Es zerstört nämlich die Magie des Kinos!
Dass es so viel Manpower, so viel Akribie und Gründlichkeit braucht, um Filmfehler überhaupt ausfindig zu machen, zeigt nämlich nur, wie stark die Kraft des Kinos sein kann. Die allermeisten Menschen übersehen Filmfehler im Kino einfach. Sie lassen sich dort von den Gefühlen und Geschichten mitnehmen und geben sich dem Film unterbewusst hin.
Nur so erklärt sich etwa, dass ein Millionenpublikum nie mitbekommen hat, dass diese Dame aus „Shutter Island“ gerade aus einer leeren Hand trinkt. Es ist so offensichtlich! Wie kann man das übersehen? Ganz einfach - es ist schlichtweg irrelevant für die Szene.
Unser Gehirn priorisiert das Geschehen auf der Leinwand nämlich genauso wie ein guter Editor. Erst Gefühle, Gesichter und Geschichten – dann irgendwann der unwesentliche Rest. Wer Lars von Triers „Dogville“ gesehen hat, weiß, wie weit man diesen Prioritäten gehen kann. Den gesamten Weg nämlich.
Dass unser Gehirn so gestrickt ist, dass wir uns im Kino nicht von albernen Nebensächlichkeiten ablenken lassen und uns stattdessen im Strom einer emotionalen Erzählung treiben lassen können, das ist etwas ganz Wunderbares, das man nicht mutwillig zerstören sollte. Wer sich mühsam und kleinkariert gegen diese Kraft auflehnt, wer nur noch auf Gaskanister, Besen, Glasscheiben und Nummernschilder achtet, wer unbedingt gegen den Strom schwimmen will, der beraubt sich selbst einer guten Kinoerfahrung.