Das, was das MCU einst groß gemacht hatte, lassen die Marvel-Filme in letzter Zeit leider vermissen. Zum Glück schafft jetzt ein anderer Film Abhilfe.
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Die Filme des Marvel Cinematic Universe (MCU) waren vielleicht nie cineastische Meisterwerke und ja, aufgrund der Marvel-Formel teils ziemlich schablonenhaft – jedoch waren sie wenigstens größtenteils unterhaltsam. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger habe ich über die Jahre gelernt, von der immerhin erfolgreichsten Filmreihe aller Zeiten zu erwarten. Nach dem großen Umbruch mit „Avengers: Endgame“ scheint es allerdings, als habe das MCU seine Identität verloren.
Das liegt nicht nur daran, dass das Franchise zwischendurch Experimente wie „Eternals“ wagte, die leider nicht wirklich zünden wollten. Selbst vermeintlich sichere Wetten, die nach der klassischen Marvel-Formel aufgebaut sein und entsprechend funktionieren sollten, wirkten für mich unrund, zu häufig unlustig und kreativlos, wie „Thor: Love and Thunder“ und zuletzt besonders „Ant-Man and the Wasp: Quantumania“. Mit dem Beginn von Phase 4 verließ ich tatsächlich nur zweimal das Kino mit dem Gefühl, einen lohnenden Marvel-Film gesehen zu haben und das waren „Shang- Chi and the Legend of the Ten Rings“ und „Spider-Man: No Way Home“. Bei acht Versuchen nicht die beste Quote, auch wenn ich klarstellen möchte, dass die anderen Kinowerke meiner Meinung nach meistens keine Totalausfälle waren; für den von mir erwarteten Marvel-Standard aber dennoch oftmals enttäuschend schwach.
Und wenn das MCU nicht mehr liefert, müssen eben andere die Lücke füllen. Denn wie sehr ich ein spaßiges Filmerlebnis, das nach der gewohnten MCU-Formel funktioniert, vermisst habe, hielt mir jetzt der jüngst gestartete „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ vor Augen. Falls der Titel bislang an euch vorbeilief, stimmt euch der folgende Trailer darauf ein:
Altbekanntes im neuen Gewand
Ein wild zusammengewürfelte Truppe von Verlierer*innen muss zusammenkommen, zu einer Gemeinschaft verschmelzen und am Ende den Tag retten. Klingt nach „Guardians of the Galaxy“ und „The Suicide Squad“, die mit James Gunn nicht ohne Grund beide vom selben Autoren und Regisseur stammen, und fasst genauso gut den neuesten „Dungeons & Dragons“-Film zusammen. Das Rad erfindet der Fantasy-Film also bei aller Liebe wahrlich nicht neu und die grundlegende Geschichte dürfte kaum einen Blumentopf gewinnen, was sie meiner Meinung nach allerdings eben auch nicht muss.
Ganz wie in einer richtigen „Dungeons & Dragons“-Runde steht hier der Spaß im Vordergrund und in dieser Hinsicht liefert der Film auf ganzer Linie ab. Die wichtigsten Charaktere sind mit dem Barden Edgin (Chris Pine), der Barbarin Holga (Michelle Rodriguez), dem Möchtegern-Zauberer Simon (Justice Smith) und der Druidin Doric (Sophia Lillis) nicht sonderlich vielschichtig konzipiert, doch sie sorgen stets für ein unterhaltsames Geplänkel und damit für die kurzweilige Gruppendynamik, die ich am MCU am meisten geschätzt und in letzter Zeit oft schmerzlich vermisst habe. Mit Regé-Jean Pages Paladin namens Xenk hat man darüber hinaus praktisch einen eigenen Drax-Verschnitt, der genauso wenig mit Ironie wie sein Marvel-Pendant anzufangen weiß, aber auch insgesamt derart übertrieben ernst und pathetisch ist, dass selbst dieser Ansatz hier besser umgesetzt wurde. Und natürlich ist Hugh Grant als charmanter Betrüger genauso fantastisch, wie er es in all seinen Auftritten der letzten Jahre war.
Zudem hat das Regie- und Autorenduo Jonathan Goldstein und John Francis Daley, die unter anderem das Drehbuch für „Spider-Man: Homecoming“ beisteuerten, zusammen mit Autor Michael Gilio gefühlt keine Humor-Gelegenheit ausgelassen. In typischer „Dungeons & Dragons“-Manier geht einiges schief, das Würfelglück kann einem schließlich nicht immer hold sein, und die Verantwortlichen reizen diese Missgeschicke genüsslich aus, um für etliche kuriose Situationen zu sorgen. Selbst oft gesehene Szenarien, wie der Umstand, dass man einer Person nur eine bestimmte Zahl an Fragen stellen kann, wird zwar zunächst auf bekannte Art ausgeschlachtet, dann jedoch mit einem ganz eigenen Twist versehen, der das Potenzial dieser reichhaltigen Fantasy-Welt auf unterhaltsame Art nutzt.
Ohnehin ist an jeder Ecke zu merken, wie viel Spaß die Beteiligten hatten, den umfangreichen „Dungeons & Dragons“-Kanon zu nutzen: Etliche teils kuriose Kreaturen, Zauber und Artefakte werden genutzt, um der dann doch nicht gerade originellen Geschichte Leben einzuhauchen und bei einer Laufzeit von 134 Minuten keine Langeweile aufkommen zu lassen.
Da kann auch das MCU noch was lernen
Auch hinsichtlich der Produktionsqualität und der Inszenierung drängt sich mir die Frage auf, ob das MCU sich nicht vielleicht an „Dungeons & Dragons“ ein Beispiel nehmen sollte, obwohl der Fantasy-Film ja eigentlich mit seinem Ansatz „witzige Dialoge + Herz am rechten Fleck = gelungener Blockbuster“ von den Marvel-Titeln inspiriert zu sein scheint. Abseits von „Shang-Chi“ fallen mir gerade keine Actionszenen ein, die ich in letzter Zeit im MCU als besonders genug empfand, um sie lobend hervorzuheben. „Dungeons & Dragons“ kann mit dem genannten Marvel-Beispiel zwar wiederum nicht mithalten, bietet aber dennoch einige Einlagen, bei denen ich tatsächlich mal wieder mitfieberte und die hier und da nette Ideen durchschimmern lassen. Nach dem Spezialeffekte-Einheitsbrei wie in „Quantumania“ bin ich zudem froh, wieder echte Sets zu sehen, in denen die Stars mit real existierenden Objekten interagieren und teils sogar praktische Effekte eingesetzt und Fantasy-Kreaturen mit Spezial-Make-Up zum Leben erweckt werden; die Orks aus der „Der Herr der Ringe“-Trilogie lassen grüßen. Das hilft ungemein, um eine fiktive Welt ebenso für uns Zuschauer*innen greifbar zu machen und ist leider heutzutage wahrlich nicht mehr selbstverständlich.
Wenn euch also dieser Tage der Sinn nach einem spaßigen Blockbuster steht und die Marvel-Filme vielleicht auch euch in letzter Zeit eher enttäuschten, dann lohnt sich eine Sichtung von „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ meiner Meinung nach definitiv. Wenn ihr meiner Einschätzung nicht glauben wollt, dann vielleicht der Schwarmintelligenz, denn bei Rotten Tomatoes mochten ihn satte 90 % der Kritiker*innen und grandiose 93 % des Publikums waren ebenfalls überzeugt. In diesem Sinne: Helft dabei, einem wirklich gelungenen Blockbuster zu unterstützen und so auch „Dungeons & Dragons 2“ realistischer erscheinen zu lassen, denn ich habe definitiv Lust auf eine weitere Partie mit dieser Bande.