In die wundersame Welt der Molekularküche und ihres wohl berühmtesten Vertreters Ferran Adrià führt der Dokumentarfilm von Gereon Wetzel. Der Deutsche durfte 2008 und 2009 dem Drei-Sterne-Koch und seinem Team über die Schulter schauen, während sie im Labor in Barcelona mit Lebensmitteln experimentierten und anschließend im Restaurant El Bulli ein neues Menü entwickelten. Die künstlerische Arbeit Adriàs wird auf diese Weise informativ und aufschlussreich dokumentiert. Wer es bereut, dass er im El Bulli noch nie einen Tisch reservieren konnte, sollte sich diesen Film nicht entgehen lassen. Für den 30. Juli 2011 wurde die zweijährige Schließung des Restaurants angekündigt, weil sich Adrià ganz der Forschung und Entwicklung neuer Gerichte widmen will. Später soll aus dem El Bulli eine Stiftung werden, in der kreative Köche Neues ausprobieren.
Sie sind Köche, aber sie sind auch Künstler, Chemiker, Techniker und manchmal wirken sie einfach nur wie Gefangene in einem ewigen Spiel, in welchem es um Überraschungen für die Sinne geht. Der Spanier Ferran Adrià und sein kleines Kreativteam stehen mit ihrem Drei-Sterne-Lokal El Bulli und seinem Anspruch der Avantgardeküche unter einem gewaltigen Erfolgsdruck. Wenn das Restaurant für die nächste sechsmonatige Saison öffnet, soll ein neues Menü entstehen, aus noch nie Dagewesenem. Dafür zieht sich das Kreativteam sechs Monate lang mit allen Küchenutensilien aus dem El Bulli in ein Forschungsatelier in Barcelona zurück. Es werden Pilze vakuumiert, Süßkartoffeln entsaftet, Extrakte eingedickt, geröstet, gebraten, oder ausprobiert, was mit einem neuartigen Ravioliteig passiert, wenn er ins Wasser getaucht wird.
Die Küchenchefs notieren jedes ihrer Experimente, in denen es um Farbe und Konsistenz von Lebensmitteln geht und wie sie sich durch verschiedene Zubereitungsarten verändern. Macht das Sinn?, lautet eine häufige Frage der Köche. Entscheidend für den Sinn ist dabei weniger der Aufwand, der immer ungewöhnlich groß erscheint, sondern ob ein verblüffendes Geschmackserlebnis entsteht. In den verschiedenen kleinen Häppchen, die den Gästen des El Bulli schließlich als kunstvolle Menüfolge an den Tisch gebracht werden, liegt dieses Aha-Erlebnis im Zusammenspiel von Geschmack, Tastsinn, Aussehen und der Veränderung der im Mund erzeugten Empfindungen. Ein Getränk aus Wasser und Öl hat beispielsweise eine doppelte Wirkung: Zuerst schmeckt man das Öl mit den Aromen seiner Zutaten, dann fühlt man das Wasser und meint, es reinige den Mund.
Das ergebnisoffene Experimentieren im Labor bedient sich wie die Restaurantküche hochartifizieller Mittel. Es wird mit Flüssigstickstoff hantiert und mit Injektionsspritzen, durchsichtige Teigtäschchen werden knuspriger oder weicher gemacht, Essenzen in kleine Plastikbeutel abgefüllt. Ferran Adrià ist nicht immer zufrieden mit dem Geschmacksergebnis, einmal sagt er zu einem seiner Köche, er solle ihm nichts zum Probieren geben, was nicht gut sei. Später, im Restaurant, grübelt der Chef über der endgültigen Zusammenstellung der Speisen, nickt ab oder verwirft, während seine Küchenchefs den gesamten Betrieb mit seinen bis zu 70 Mitarbeitern wie ein Präzisionsuhrwerk steuern.
Während des Zuschauens in diesem monatelangen kreativen Prozess vom ersten Experiment bis zum fertigen Menü entsteht ein Wechselbad der Gefühle. Mal wirken die Köche und vor allem ihr Chef geradezu überdreht und abgehoben. Dann wiederum möchte man selbst erfahren, ob sich die Vinaigrette mit den Eiswürfeln und dem Mandarinenstückchen im Mund so wunderbar anfühlt, wie Adrià das mit Worten beschreibt. Der Film verzichtet auf Interviews und auf Aufnahmen an den Tischen der Gäste, geht sehr sparsam mit Musik um und stellt sich ganz in den Dienst des Geschehens. Diese Nähe gestattet auch emotionale Einblicke in das Beziehungsgeflecht innerhalb der Küchenhierarchie, macht Unsicherheiten sichtbar und lässt es dem Betrachter frei, eine eigene Stellung zu dieser Art von Kunst zu beziehen.
Fazit: Für die einen ist sie Quatsch, für die anderen genial: Ferran Adriàs Avantgardeküche kann in diesem aufschlussreichen Dokumentarfilm gründlich inspiziert werden.