April 1945: Als die Alliierten in Deutschland einmarschieren, wird das KZ Mühldorf-Mettenheim kurzer-hand geräumt. Die rund 4000 Häftlinge werden in einen Güterzug gepfercht und auf eine Odyssee durch Oberbayern geschickt - ohne Wasser und Nahrungsmittel. Bis der Zug in Seeshaupt Halt macht. Und der Krieg auf einmal zu Ende ist. Walter Steffen gelingt mit ENDSTATION SEESHAUPT ein überzeugender Dokumentarfilm über die Leidensgeschichte der Zuginsassen. Die Struktur des Films orientiert sich dabei an der tatsächlichen Reiseroute des Zugs, der Film rekonstruiert an einer Vielzahl von Orten anhand von Zeitzeugenberichten die Ereignisse. Den Kern der Dokumentation bildet der Bericht von Louis Sneh, der als einer der Häftlinge die Qualen hautnah miterleben musste. Lobenswerterweise kommen darüber hinaus auch viele andere Zeitzeugen zu Wort, die mit erschre-ckenden, gleichwohl wichtigen Geschichten das Interesse des Zuschauers wecken und Hintergrund-wissen vermitteln. Geschickt wird hier auch der Bogen zur Gegenwart geschlagen, denn die Aufarbei-tung der Geschehnisse in den einzelnen Gemeinden ist eine Herzensangelegenheit des Regisseurs. Ein gelungener und wichtiger Film gegen das Vergessen.
Jurybegründung:
Sehr detailreich und gut recherchiert beschreibt diese Dokumentation die Fahrt eines Güterzugs im April 1945, in dem 4000 KZ-Häftlinge aus dem Außenlager Mühldorf-Mettenheim evakuiert wurden. Luis Sneh, einer der Überlebenden dieser Fahrt, macht die Reise in Begleitung des Kamerateams noch einmal und zu seinen Erinnerungen an den verschiedenen Stationen dieser Reise kommt der Film immer wieder zurück.
Der Regisseur Walter Steffen arbeitet mit Archivmaterial und historischen Quellen, vor allem aber mit vielen weiteren Zeitzeugen, die er entlang der Reise findet und befragt. Zu diesen zählt auch Dr. Max Mannheimer, der in einem der Wagen an Typhus erkrankt, sowie zahlreiche Bewohner der Region, die damals noch Kinder waren und zum Teil durch das bleibend geprägt wurden, was sie damals sahen.
Der Film folgt in seiner Dramaturgie der Fahrt des Zuges. An jedem Ort der Strecke wird so ausführlich und präzise wie möglich beschrieben, was sich dort während der Bahnfahrt ereignet hat. So wird eher episodisch als mit einem weiten dramaturgischen Bogen erzählt, und es kommt zum Teil zu abrupten Wechseln der Erzählebenen. Denn Steffen will auch zeigen, wie die Bewohner der Orte heute mit den Erinnerungen an die Zugfahrt umgehen. Dabei hat er den Mut abzuschweifen, wenn er etwa solch interessante Informationen in seinen Film unterbringt wie jene, dass München die einzige deutsche Stadt ist, in der das berühmte Kunstprojekt „Stolpersteine“ nicht genehmigt wurde. Und zwar mit der absurden Begründung, man würde ja bei den Steinen das Gedenken an die Opfer „mit Füßen treten“. Steffen verzettelt sich mit dieser eher freien Form nicht, weil er in Luis Sneh einen sehr präsenten und komplexen Protagonisten gefunden hat. Dieser erzählt nicht nur von seinen Erlebnissen auf der Zugfahrt, die mit der Befreiung durch amerikanische Soldaten in dem Ort Seehaupt endet. Er beschreibt auch, wie er sich auch heute noch daran abarbeitet, dieses Trauma zu überwinden, und wie er dazu regelmäßig aus seiner neuen Heimat in den USA zurück nach Seehaupt reist.
ENDSTATION SEESHAUPT überzeugt inhaltlich, ist stilistisch dagegen eher konventionell gehalten. Man merkt, dass Steffen oft Schwierigkeiten hatte, die passenden Bilder zu finden. So hat er sehr viele Aufnahmen von fahrenden Zügen oder aus fahrenden Zügen heraus aufgenommen, die zunehmend wie Leerstellen in seinem Film wirken.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)