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Stephen Kings „Es“-Filmkritik: Du fliegst auch!

Stephen Kings „Es“-Filmkritik: Du fliegst auch!

Bereits im Vorfeld hat die Neuverfilmung des Stephen-King-Klassikers „Es“ alle Rekorde gesprengt. Nun steht der Lackmustest an. Kann Pennywise erneut schocken? Wie gut die „Es“-Neuverfilmung ist, lest ihr in der Filmkritik.

Um das Wichtigste vorwegzunehmen: Die neue „Es“-Neuverfilmung von Andrés Muschietti ist ein guter Film, ein sehr guter Genre-Film und eine sehenswerte Neuinterpretation eines der meistgeschätzten Horrorklassiker aller Zeiten. Weit davon entfernt, einfach an die Fernsehfilme von 1990 anzuknüpfen, ist es dem bisher eher unbekannten Muschietti („Mama“) gelungen, dem Grauen ein neues Gesicht zu geben. Grund dafür sind nicht nur Bill Skarsgård als Pennywise, Jaeden Lieberher als Anführer der Loser-Bande und Sophia Lillis als Beverly. Die Neuverfilmung setzt auch einen klugen Fokus und kann ihre Geschichte konzentrierter erzählen.

„Es“-Film: Das Grauen ist Derry

Seinem Roman hat Stephen King ein Zitat von Bruce Springsteen vorangestellt: “I was born in a dead man’s town.“ Diese Stadt, da besteht kein Zweifel, ist das fiktive Derry - für King scheinbar ein zentraler Ort. Gleich mehrere seiner Geschichten verweisen auf Derry, es ist ein King-typischer Ort des Grauens wie etwa Castle Rock, jene Stadt, die inzwischen sogar eine eigene Serie spendiert bekommt, weil sich die Wege so vieler seiner Figuren hier kreuzen. Auch Muschietti nimmt sich Raum, den Schauplatz zu etablieren. Denn im Gegensatz zum Roman springt die „Es“-Neuverfilmung nicht zwischen den Zeitebenen, erzählt stringent eine Geschichte.

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Die New Kids on the Block haben gerade einen neuen Hit - es ist irgendwann in den 80ern und Derry erstrahlt in sommerlicher Hitze. Ehemals eine Holzfällersiedlung ist Derry heute eine typische US-Kleinstadt. Gepflegte Vorgärten, breite Straßen, Einfamilienhäuser und Verwaltungsgebäude im Stil des patriotischen Colonial Revivals. Viele der Aufnahmen sind am Rand leicht unscharf, die Optik erinnert an Tilt-Shift-Filme, die allem diesen Modelleisenbahn-Look verpassen. Doch Derry ist kein Ort für romantische Gefühle. Das Grauen hier hat Methode. Alle 27 Jahre geschehen ungeheuerliche Katastrophen und Verbrechen. Vor allem Kinder verschwinden spurlos und unerklärlich.

Stephen Kings „Es“: Trailer

Club der Verlierer

Den Verlust hat Bill selbst erfahren. Sein kleiner Bruder Georgie ging im Regen spielen und kam nie wieder. Die Stadt übt sich im Wegsehen. Bill (Jaeden Lieberher) macht sich keine Freunde, indem er Fragen stellt. Freunde hat er ohnehin nicht, eher Leidensgenossen. Bill gehört zum Club der Loser. Er stottert, die anderen sind Hypochonder, dick, tragen große Brillen oder haben die falsche Hautfarbe. Sie werden erbarmungslos fertiggemacht. Das wahre Grauen sind die Menschen - vor allem die lieblosen Eltern. Das wissen Bill und seine Kameraden allerdings noch nicht. Zuerst machen sie Bekanntschaft mit etwas scheinbar weit Grässlicherem.

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Unabhängig voneinander haben die Kinder schreckliche Visionen. Ben (Jeremy Ray Taylor) wird von einem Zombie verfolgt, Eddie (Jack Dylan Grazer) von einem Leprakranken, für Stan (Wyatt Oleff) erwacht ein gruseliges Gemälde zum Leben, Mike (Chosen Jacobs) erlebt noch einmal, wie seine Familie verbrennt. Muschetti reißt all diese Geschichten an. Der Fokus liegt jedoch auf der Dreiecksbeziehung zwischen Bill, Ben und Beverly. Eine wohltuende Fokussierung (zumal es der Neuverfilmung nicht an Schreckensvisionen mangelt), da „Es“ so deutlich mehr Tempo als sein Vorgänger gewinnt.

Eine besondere Rolle in der Loser-Bande kommt Beverly zu (Sophia Lillis). Bald haben die Kinder herausgefunden, dass Pennywise, ein monströser Clown, hinter den Horrorvisionen steckt. Pennywise (Bill Skarsgård) nimmt die Gestalt ihrer größten Ängste an, um mit ihnen zu spielen. „Es“ frisst Kinder. Beverlys Schreckensvision ist dabei am nähesten an der Realität. Muschetti zeigt, wie sie das erste Mal Tampons kauft. Zu Hause wird sie vom Vater gefragt, ob sie noch sein Mädchen sei. Konsequenterweise nimmt Pennywise schließlich das Gesicht ihres Vaters an. Beverly ist dann auch die Mutigste im Bunde und wird von Lillis toll als starkes, weibliches Rollenbild gespielt.

Coming of Age im Horrorgewand

Dass Es im Untergrund von Derry, der Kanalisation, lebt, ist natürlich symbolisch gemeint. Auf Englisch würde man es den „underbelly“ von Derry nennen, was sich nur schlecht als Unterbauch übersetzen lässt. Es ist das Unterbewusste, das Verdrängte, die Kloake, der Schmutz - und in einer Kleinstadt wie Derry ist es nun einmal die unterdrückte Sexualität. „Kann es sein, dass nur Jungfrauen Es sehen können?“, fragt Richie (Finn Wolfhard) an einer Stelle. Der Witz ist unfreiwillig entlarvend. Je mehr die Kinder Es kennenlernen, umso erwachsener werden sie.

Die Neuverfilmung von Andrés Muschietti ist vor allem deshalb ein gelungener Film, weil sie den erzählerischen Kern, den King gerne unter Tausenden Seiten vergräbt, herausschält und klar zeichnet. „Es“ ist eine Coming-of-Age-Geschichte, erzählt mit den Mitteln des Horrors. Als heimliches Vorbild dürfte das Abenteuerdrama „Stand By Me“ (ebenfalls nach einer King-Geschichte) gedient haben. Während die Kinder Pennywise auf die Spur kommen und recherchieren, erfahren sie auch mehr über ihr Umfeld, die blutige Geschichte von Derry, die Widersprüche ihrer Eltern, die alltägliche Gewalt, das systematische Wegschauen, die Verantwortung, die sie tragen, und über die Liebe.

Dabei wird Pennywise, der Clown, bei Muschetti mehr denn je zur Metapher für ausrangierte Affekte und überwundene Ängste. Er haust in der Kanalisation in einer Höhle aus Spielsachen, Kinderwagen, Babyschuhen und zu klein gewordenen Jacken, die sich auftürmen wie abgelegte Kindheiten. Der Wahrheit ins Auge zu schauen, ist schmerzhaft, das muss vor allem Bill lernen. Schön ist die Neuverfilmung jedoch auch, weil sie eine sehr positive Geschichte über Freundschaft erzählt. Nur gemeinsam können die Kinder ihren größten Ängsten begegnen - und die, das soll noch einmal erwähnt sein, sind wirklich übel!

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Bill Skarsgård als Pennywise

Anfang der 90er Jahre hat sich Tim Curry als Horror-Clown Pennywise in die Träume einer ganzen Generation von Heranwachsenden geschlichen. Die Neuverfilmung konnte bereits im Vorfeld Rekorde brechen (der Trailer erreichte in 24 Stunden 197 Millionen Views!), weil der Fernsehfilm aus den 90ern für viele Zuschauer eine prägende erste Horrorerfahrung war. Besonderes Augenmerk liegt heute deshalb auf der Darstellung von Pennywise, und was Skarsgård hier leistet, ist tatsächlich verstörend. Sein Clown ist weniger zappelig als Currys. Wie Skarsgård seine Mimik einsetzt, die Lippen lustvoll spitzt, ist jedoch wirklich grauenvoll und sehenswert.

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Diese Szene schaffte es nicht ins Kino

Wie Darsteller Skarsgård in einem Interview erklärt hat, musste eine seiner Szenen als Clown Pennywise sogar aus dem finalen Film geschnitten werden, weil er sie zu verstörend fand. Interessanterweise spielt die Szene im 17. Jahrhundert, wirft also einen Blick zurück in die Geschichte von Derry. Sein Charakter ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht der ikonische Clown, zu dem er sich später entwickeln würde. Pennywise fehlt zu diesem Zeitpunkt noch das übertrieben Make-up, er kommt menschlicher daher - und ist deshalb umso grauenvoller. Fans können sich also schon einmal den Directors-Cut von „Es“ freuen. Der soll laut Muschietti 15 Minuten länger sein.

Als Horrorfilm kann die neue „Es“-Verfilmung trotz Kürzung voll überzeugen. Zwar setzt Muschietti nicht auf Jump-Scares, nicht auf den Aus-dem-Augenwinkel-Horror eines „Insidious“. Sein Terror kommt dafür sehr direkt und sehr nah. Pennywise springt dem Zuschauer entgegen, eine einzige Fratze. Die Dramaturgie weiß Spannung aufzubauen, indem sie zwischen dem sommerlichen Derry und der Kloake wechselt, bevor der Alptraum zum Dauerzustand wird - eine schöne, packende Geisterbahnfahrt durch die besten Horror-Stereotypen der Vergangenheit. Und trotz FSK 16: Blut spritzt wahrlich genug!

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Erste Informationen zum „Es“-Sequel

Nachdem „Es“ in den USA bereits zum erfolgreichsten R-Rated-Horrorfilm aller Zeiten gekürt wurde, liegt der Fokus nun zunehmend auf dem Sequel. Da Muschietti beschlossen hat, die beiden Zeitebenen, die in Kings Roman verwoben sind, getrennt zu behandeln, kehrt Pennywise ganz sicher zurück. Die Kinder sind dann erwachsen, in Flashbacks soll der Film allerdings zurückblicken, wie Muschietti schon verraten hat. Dafür könnte bereits gedrehtes, aber nicht verwendetes Material genutzt werden – ein Wiedersehen mit Lieberher und Lillis inklusive. Als Starttermin ist der 6. September 2019 angesetzt.

Fazit: Andrés Muschiettis „Es“ ist eine würdige Neuinterpretation des Stephen-King-Klassikers. Als Coming-of-Age-Drama, das seine Geschichte mit den Mitteln des Horrors erzählt, überzeugt „Es“ dank guter Schauspieler und der erzählerischen Dichte. Dabei kommt der Horror an keiner Stelle zu kurz. Bill Skarsgård entpuppt sich als wundervoll diabolischer Pennywise, der sicherstellt, dass es auch kommenden Generationen nicht an Alpträumen mangelt. Wir freuen uns auf den zweiten „Es“-Film im Herbst 2019.

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