Zwischen Israel und Agypten wächst in Gaza eine Jugend heran, die müde ist vom täglichen Ausnahmezustand. Sinn und Perspektive finden sie in ihrer Freizeit: Mit Deutschland im Jahre Null: Die überlebenden Juden des Holocausts haben nur ein Ziel: Sie wollen weg aus Deutschland. Doch das Unterfangen ist schwerer als gedacht, denn dafür braucht es ein ordentliches Startkapital. Der Jude David Bermann, der vor dem Krieg Teil einer erfolgreichen Wäscheverkäuferfamilie war, versucht nun seine alten Verkaufstalente zu reanimieren, um endlich in die USA zu gelangen. Dazu versammelt er Freunde und Bekannte um sich und verkauft den Damen in Frankfurt Bettwäsche, Handtücher und weitere Gegenstände. Die Geschäfte laufen gut, doch als die amerikanische Offizierin Sara Simon damit beginnt, in Bermanns Vergangenheit zu wühlen, kommt sie einem Geheimnis auf die Spur, welches Bermann am liebsten begraben hätte. ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND…von Sam Gabarski, der auf den Romanen von Michel Bergmann basiert, nimmt eine für die Auseinandersetzung mit dem Holocaust ungewöhnliche Perspektive ein, indem er das Nachkriegsdeutschland aus Sicht der jüdischen Opfer erzählt. Neben der Geschichte von David Bermann und seinen Freunden fasziniert auch der inszenatorische Stil des Films. Wie ein Western wirkt er oft stark stilisiert, arbeitet mit dramatischen Auf- und Abtritten, mit großen Szenen der Konfrontation. Doch dann erzählt er auch wieder ganz sanft und sensibel von kleinen zwischenmenschlichen Momenten innerhalb des überzeugend aufspielenden Ensembles, welches Moritz Bleibtreu als Bermann mit einer beeindruckenden Mischung aus gerissenem Geschäftsmann, immer zu Streichen aufgelegtem Clown und traumatisiertem Kriegsüberlebenden anführt. Der augenzwinkernde Witz ist in der Geschichte, trotz der großen tragischen Tragweite, immer präsent, ob als Galgenhumor oder als letzter Schutz gegen die Verzweiflung. Zusammen mit den sympathischen und vielschichtigen Figuren ist dies eine große Stärke des Drehbuchs. Die Kamera liefert herrliche Bilder voller Filmzitate, Ausstattung und Setting erschaffen ein authentisch wirkendes Nachkriegsmilieu. ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND … ist eine bittersüß unterhaltsame und berührende Geschichte über das jüdische Überleben in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Jurybegründung:
Die Verfilmung des Romans „Die Teilacher“ von Michel Bergmann durch Sam Garbarski überzeugt die Jury sowohl künstlerisch als auch inhaltlich. Der belgische Filmemacher entschied sich gegen die Klammer der Vorlage, das Schicksal des Kaufmanns David Bermann nach dessen Tod in puzzleartigen Rückblenden zu erzählen. Der Film konzentriert sich auf die Nachkriegszeit, in der Beermann und sechs weitere Überlebende der Shoah in Frankfurt am Main einen Neuanfang suchen, und dessen Erlebnisse im Dritten Reich.
In ihren Träumen sind die Männer bereits in Palästina oder den USA. Der Witzerzähler Bermann, dem seine Kunst im KZ das Leben rettete, mag heute keine Witze mehr reißen. Aufgrund seiner irren Lebensgeschichte verdächtigt ihn die amerikanische Militäradministration, ein Kollaborateur zu sein. Regelmäßig wird er zur Befragung bei der attraktiven CIA-Agentin Sara Simon vorgeladen, die mit ihren Eltern 1933 aus Deutschland fliehen konnte. Sie glaubt ihm kein Wort, wenn er in Rückblenden vom Überleben im KZ und auf dem Obersalzberg berichtet.
Die Verhöre beeinträchtigen Bermanns Engagement im eigenen Business. Um das Geld für einen/den beruflichen Neustart zu mehren, baut der einstige Kompagnon des ersten Hauses für Kurzwaren und Wäsche in Frankfurt mit mehreren Schicksalsgenossen einen florierenden Wäschehandel auf. Die schrecklichen Erlebnisse jedes Einzelnen klingen im Laufe der Handlung kurz an. Da sie aus verschiedenen europäischen Ländern stammen, wird die internationale Dimension des Holocaust deutlich.
Nur einmal holt einen der Männer die Vergangenheit ein. In einem Zeitungsverkäufer erkennt er einen ranghohen Nazi, der in seiner ungarischen Heimatstadt Hunderte Juden in einer Synagoge verbrennen ließ. Das weckt in allen den unterdrückten Schmerz und die Schuldgefühle. Sie leiden, weil sie im Gegensatz zu Familienangehörigen, Nachbarn und Freunden überlebt haben. Andererseits wollen sie nicht länger Opfer sein. Optimistisch nehmen sie ihr Geschick in die eigene Hand.
Garbarski und Bergmann wissen genau, wovon sie sprechen. Beide sind in Familien hineingeboren, die nach dem Holocaust in Deutschland blieben. Deren Kinder fragten: „Warum wolltet ihr unter den Mördern leben?“
Der Regisseur setzt auf bissigen, hintergründigen Witz in einem beeindruckenden Werk. Wie sein großes Vorbild ES WAR EINMAL IN AMERIKA wirft er einen nostalgisch-verklärten Blick in die Vergangenheit und pendelt geschickt jederzeit passend zwischen leiser Komödie und emotional berührender Tragödie. Er beschwört in seinem handwerklich soliden Drama die Atmosphäre im Deutschland der Nachkriegszeit perfekt, als sich viele Deutsche mit den Überlebenden der Konzentrationslager konfrontiert sahen, die sie an das eigene Versagen erinnerten. Dieser Aspekt der Geschichte klang im deutschen Film nur selten an, einzig Christian Petzolds PHOENIX sah die Jury als Referenzfilm.
Der Film wird von einem exzellenten Schauspielerensemble getragen, sie bringen die psychischen Belastungen der Vergangenheit ebenso wie Momente der Verzweiflung und die Hoffnung auf die zweite Chance auf den Punkt. Moritz Bleibtreu ragt als Bermann heraus, auf ihn konzentriert sich die Handlung. Der deutsche Star liefert eine der besten Performances seiner mittlerweile 20-jährigen Karriere. Der Zuschauer nimmt ihm das geschäftstüchtige Schlitzohr und den Schlawiner Bermann, der still mit seinen eigenen Dämonen und Schuldgefühlen kämpft, einfach ab.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)