Regisseur Stephen Daldry ("Billy Elliot", "Der Vorleser") inszenierte mit dem Drama "Extrem laut und unglaublich nah" ein bewegendes Stück über aufrichtige Trauerarbeit nach einem gleichnamigen Roman von Jonathan Safran Foer. Ein New Yorker Junge nimmt allmählich Abschied von seinem Vater, der seit einem Jahr tot ist. Der Terroranschlag auf das World Trade Center hat Oskars kindliche Sicherheit zerstört und ihn zu einem innerlich umherirrenden Überlebenden gemacht. Er ist nicht ans Telefon gegangen, als sein Vater aus dem brennenden Gebäude anrief, er konnte nicht. Für Oskar gibt es keinen direkten Trost. Auf seinen Zickzackwegen durch die Stadt findet er höchstens Linderung, Ablenkung und Menschen, die ihm eine Weile Gesellschaft leisten.
Die rauchenden Türme des World Trade Center und die Panik in der Stadt bleiben im Hintergrund, werden zu spärlichen Bildern oder Fotos, Geräuschen am Telefon reduziert. Oskar wird am Morgen des Anschlags wie andere Schüler früher nach Hause geschickt, seine Mutter ist noch in der Arbeit. Er hört den Anrufbeantworter ab, es gibt fünf Nachrichten seines Vaters. Der Juwelier hatte einen Termin im World Trade Center. Anfangs klingt er beschwichtigend, es gehe ihm gut. Dann wird der Ton dringlicher, hektisch. Oskar versteckt sich unter dem Bett und sagt später in Form einer poetischen Metapher, dass er die Beziehung zu seinem Vater noch auskosten wollte, als er schon ahnte, dass sie ihm längst genommen war.
Der 13-jährige Thomas Horn spielt in seinem Filmdebüt den intelligenten Oskar, der leicht autistische Züge hat. Er sprudelt nur so über vor Ideen, logischen Weisheiten und akribisch aufgestellten Regeln. In seinen Erinnerungen sieht man ihn mit seinem Vater, den Tom Hanks spielt, auf Erkundungsexpeditionen im Central Park, sorgfältig für den Jungen ausgetüftelten Rätselaufgaben, die dieser nur lösen konnte, wenn er sich seinen Ängsten stellte. Zum Beispiel, fremde Leute um Rat zu fragen. Diese innige Beziehung zum Vater hat etwas Umständliches, wie eine Rangelei, sie ist Kampf um die eigenen Überzeugungen. Oskar schießt dauernd über das Ziel hinaus, er klappert sich mit einem Tamburin Mut zu, wenn er allein durch die Straßen läuft, er redet klug, unwiderlegbar klug und viel, als müsste er die anderen daran hindern, ihn misszuverstehen.
Das Drama dieses Kindes, sein Ausflug in die Grauzone zwischen Glauben und Zweifel wird sperrig inszeniert. Es ist immer deutlich die Verfilmung eines Romans, der die Dinge nicht stromlinienförmig anordnet. Die Blacks, die Oskar kennen lernt, wie die von Viola Davis gespielte Abby, haben ihre eigenen Probleme und sind nur eingeschränkt in der Lage, Oskar zu folgen. Die Mutter, gespielt von Oscar-Preisträgerin Sandra Bullock ("Das Haus am See", "Blind Side - Die große Chance"), trauert für sich alleine und wird von Oskar eher gemieden. Es gibt eine Großmutter (gespielt von Zoe Caldwell) gegenüber, die per Walkie Talkie erreichbar ist, und die einen Mieter hat. Der Mann, in dem Oskar allmählich seinen Großvater erkennt, redet wegen eines Kriegstraumas kein Wort. Er begleitet Oskar eine Weile, hilft ein wenig, ist dann aber wieder weg. Max von Sydow ("Minority Report", "Shutter Island") spielt ihn eindrucksvoll als herzlichen Charakter, der sich mit seiner Schwäche arrangiert hat.
Stephen Daldry ist ein Regisseur, der mit Filmen wie "Billy Elliot" oder "The Hours" längst bewiesen hat, dass er sein Handwerk versteht. Oskars Reise durch die Stadt verwandelt seine innere Landkarte fast unmerklich, durch scheinbar wahllose Ereignisse, und der Trost kommt auf leisen Sohlen. Dass die erwachsenen Figuren nur hin und wieder auftauchen, spiegelt die Einsamkeit des Jungen, die die Einsamkeit aller Trauernden ist. Seine Gespräche mit Fremden verlaufen nicht erwartungsgemäß und wecken doch die Lebensgeister. Natürlich führt Oskars Schlüssel zu einer konkreten Botschaft. Die wichtigste aber sah der Junge längst vor sich, konnte ihre Bedeutung jedoch ohne diese ganzen Umwege nicht erkennen.
Fazit: Regisseur Stephen Daldrys bewegende Romanverfilmung "Extrem laut und unglaublich nah" folgt bei der Aufarbeitung des Traumas von 9/11 den persönlichen Umwegen eines New Yorker Jungen.