38 Fälle hat Emily Jenkins vom Jugendamt schon auf dem Schreibtisch, dann bekommt sie den 39., und der ist der Schlimmste. Weshalb von den 38 anderen dann auch keine Rede mehr ist, außer bei einem, der mit Fall 39 zusammenhängt. Und das ist halt das Problem an dem Film: dass er das, was nicht mehr so wichtig ist, vergisst, dass er sprunghaft ist, dass er immer nur das im Blick behält, was gerade abläuft, Hintergründe, Vergangenes, Innenleben oder Zusammenhänge fallen unter den Tisch.
Regisseur Christian Alvart, ein Deutscher in Hollywood, konzentriert sich nicht auf seine Geschichte, auch nicht auf seine Darsteller, hyperaktiv häuft er alles mögliche aufeinander und hofft, dass am Ende ein Stiefel daraus wird. Aber der ist halt dann nicht nur hastig zusammengestoppelt, sondern auch ausgelatscht.
Der Anfang schon: unheimliche Musik überm Paramount-Logo, dann schwarz, mit der Aufblende ein Wuuusch auf dem Soundtrack, und ein düsteres, schmales Psycho-Haus unheilschwanger in der Nacht
Als hätten wir so was nicht schon tausendmal gesehen. Mit allen Mitteln der epigonischen Inszenierung bemüht sich Alvart, Schrecken zu erzeugen, aber da bleibt alles vollkommen oberflächlich. Da sind Schockeffekte mit einem Wecker, mit einem Polizisten, der ans Autofenster klopft, einem Hund, der ans Fenster springt. Aber nichts hat irgendetwas miteinander zu tun.
Auf stetig höchstem Level von künstlicher Unheimlichkeit erzählt Alvart seine Horrormär, und atemlos lässt er sich und seinem Film keine Zeit, mal irgendwas einfach stehen zu lassen, nachklingen zu lassen, seine Darsteller sich entfalten, seine Figuren sich mal entwickeln zu lassen. Atmosphäre und Spannung werden so nur behauptet, künstlich herbeigeführt, sind aber erst mal gar nicht in der Geschichte begründet.
Weder Story noch Darsteller brauchen all diese billigen inszenatorischen Tricks eigentlich gar nicht. Dass Renée Zellweger auch gut ist, wenn nicht unheilverkündende Musik, schleichende Kamera und kurze Einstellungslängen Grusliges behaupten, weiß man; und Jodelle Ferland hat in Gilliams Tideland bewiesen, dass sie das darstellerische Spiel mit verschiedenen Doppelbödigkeiten in ihren Mädchenfiguren draufhat. Wie Emily Lily erst süß findet, schutzbedürftig, dann merkt, wie sie manipuliert wird, schließlich in blanken Schrecken verfällt, als sie erkennt, wie sie in sklavischen Bann geraten ist ohne Chance, wieder rauszukommen: das hätte richtig erzählt höchst spannend, höchst beklemmend werden können.
Aber Alvart hat halt auch stets noch das Problem, nicht zu wissen, was er erzählen soll; wie er es erzählen soll. Und er entscheidet sich jedes Mal falsch. Unentschieden schwankt er, ob er ein Rätsel um Lily aufbauen soll (das sowieso von vornherein klar ist), ob er eine Ambivalenz erzeugen soll, dass Emilys Verdacht über Lilys wahres Ich vielleicht nur eingebildet ist. Und ansonsten baut er alles rein, was ihm so einfällt (weil ers schon mal in anderen Filmen gesehen hat): Das Böse, das sich durchs Telefon ausbreitet, der Tod durch die Konfrontation mit den eigenen schlimmsten Ängsten, der Dämon in uns allen, Verrückte, die vielleicht die Wahrheit sagen, Kinder, die Tyrannen sind, Insekten, die aus diversen Körperöffnungen quellen etc. pp. Alles ineinander geschmissen, hektisch gerührt, im Mikrowellenherd erhitzt und in Pappschachteln serviert. Aber: hochwertig ist so ein Junk-Food nicht, auch wenn die Grundzutaten vielleicht brauchbar sind.
Fazit: Irgendwo unter der vollkommen überinszenierten Oberfläche, unter all den abgestandenen Horrorklischeemotiven, unter allerlei falschen Regieentscheidungen ist vielleicht ein guter Film verborgen. Der aber nochmal ganz neu und ganz anders gedreht werden müsste.