August ist die große Liebe von Juliane. Das sagt er ihr einmal: Zwischen ihnen müsse es einfach was werden, es kann nicht anders sein, denn in seiner Brust habe er dieses Ziehen gespürt, das Schmacht heißt, oder auch Zieps, oder auch der große Brankokarneval dieses Gefühl wird nie wieder weggehen. Sie sind albern und verliebt in ihrem Urlaub in Finnland; und Juliane hat keinen Zweifel an ihm, an ihrer Beziehung; das schreibt sie ihm einmal in einem Brief. Aber da hat sie ihn schon verloren. Denn sie ist in der Zeit zurückgeschleudert worden um ein halbes Jahr.
Dieser Rücksturz durch die Monate vom Sommer in den vergangenen Winter ist ein Fakt des Films. Juliane schläft im romantischen sommerlichen Finnland zusammen mit August im Auto ein und als sie erwacht, ist es wieder Winter, nicht mehr Juli, sondern Februar, und sie ist mit Philipp zusammen, noch. Verstört weiß sie gar nicht, was los ist, muss die neue Realität erkennen, dann anerkennen: Dass die Zeit, ihr Leben zurückgesprungen ist, dass sie ihr letztes halbes Jahr nochmal wiederholen muss; dass August sie noch gar nicht kennt. Warum das so ist, wird nie erklärt, und es ist auch unwichtig.
Nina Hoss spielt mit großer Präsenz die Juliane, die in ihrer wiederholten Lebenszeit immer irgendwie abwesend ist, der Film ist quasi aus ihrer Perspektive, in Ich-Form, erzählt. Juliane ist nicht von dieser Welt, ähnlich, wie Hoss in Petzolds Yella aus der Welt gefallen war, mit minimalen Regungen spielt Hoss den Schock, mit dem Juliane ein paar Monate leben muss. Mit dem Wissen, die Zukunft zu kennen; mit dem Wissen, dass diese Zukunft ihr die große Liebe mit August bringen wird, wenn sie alles genau so wiederholt, wie es war; mit dem Wissen auch, dass in diesem Fall ihre Freundin Emily einen Unfalltod sterben wird.
Das Schicksal verknüpft die Fäden: Emily wird überfahren, und August verliebt sich an Ort und Stelle in Juliane. Emily zu retten und gleichzeitig August nicht zu verlieren: Zur grundsätzlichen Schwierigkeit einer Existenz im falschen Leben, in einer falschen Zeit kommt dieses persönliche Problem dazu. Ein Problem, das Regisseur Handloegten dankenswerterweise nicht krass dramatisch herausarbeitet. Die Aufgabe, der Wunsch, zwei sich ausschließende Ziele Emily und August zu erreichen, bestimmt den Film, ist ganz zentral wird aber ganz langsam, hintergründig eingeflochten. Und Handloegten weiß da ganz genau, was er tut, wie er erzählen muss: auf einen Höhepunkt hin, mit immer größerer emotionaler Spannung aber ohne diesen Höhepunkt, diese Spannung als alleinigen Zweck der Geschichte zu inszenieren; und mit Figuren, die wirkliche Charaktere sind, aus denen heraus sich das Geschehen entwickelt, die in ihren Eigenheiten, in ihrem Denken, in ihrem Verhalten menschlich, glaubwürdig sind. Handloegten erzählt seinen Film gerade nicht handlungsorientiert, das nämlich würde zu einer Computerspieldramaturgie führen, mit einer Mission, die erfüllt werden müsste weil Juliane im ersten Durchgang des Levels es nicht geschafft hat, müsste sies jetzt nochmal durchspielen.
Aber so ist es gerade nicht. Denn Handloegten ist ein großer, viel zu wenig beachteter Film-Erzähler, der seine Geschichten schön in Bildern darstellen kann, mit schwebender Leichtigkeit, wo es sein darf, mit klarer Deutlichkeit, wo es sein muss. Sein Talent zeigt sich in all seinen Filmen, von den neueren Fernseharbeiten bei Tatort oder Polizeiruf über Fritzi Haberlandt als Spätes Mädchen zu seinem letzten/ersten Kinofilm Liegen lernen von 2003, in dem es um die Lieben in den Zeiten der Kohl-Ära ging, bis zu seinem Debüt mit Paul is Dead vor über zehn Jahren, in dem er die Beatles-Mythologie mit einer Kindheitsgeschichte verknüpfte.
Fenster zum Sommer: Das ist eine Liebesgeschichte mit fantastischer Prämisse, ein bisschen wie Schwentkes Frau des Zeitreisenden, Adam Sandler mit seinen 50 ersten Dates oder Franz Müllers kaum bekannten, aber hochoriginellen Non Science Fiction die alle einen eigenen, neu- und eigenartigen Ansatz haben, und die alle irgendwie zusammengehören, weil es um die Liebe geht, um das Schicksal und um die Zeit, die verdreht wird, die zur Wiederkehr des Gleichen zwingt zur Wiederholung mit Variation.
Darf sich Juliane Veränderungen des Laufs der Zeit leisten? Wie kann sie August in sich verliebt machen, wie kann sie den Schicksalstag des 12. Mai, die Dramatik, die unweigerliche Ereignisfolge ändern? Wie kann sie klarkommen mit der Doppelbelastung eines mehrfach gelebten Lebens, in dem die Zukunft ihre Vergangenheit ist? Wie kann sie zurechtkommen, wenn sie weiß, dass sie alleine ist, weil ihr keiner glauben wird? Einmal schreibt sie einen Brief an August, der sie natürlich noch nicht kennt, und beschreibt den Sommer mit ihm, der kommen wird, als ihre Vergangenheit als Paar ein Brief, der nicht den gewünschten Effekt hat. Und einmal streitet sie mit Philipp, ihrem künftigen Ex, es ist der Abend der Trennung; sie beschreibt Schritt für Schritt, was an diesem Abend geschehen wird, und Handloegten lässt die Ambivalenz offen: ob sie das weiß, weil sie es schon einmal erlebt hat, oder ob sie es weiß, weil sie es immer wieder so erlebt hat.
Schließlich muss Juliane Prioritäten setzen, zwischen Emily und August, und das ist der Moment, der eine Moment, an dem der Film etwas schwächelt; weil wir Gefahr laufen, die Figur zu verlieren, die sich entschieden hat, die aber, so scheint es fast, der Alternative kaum nachtrauert was uns dann doch an ihrer unbedingten Liebe zu August zweifeln lässt. Ein weiterer Moment, der poetisch, aber vielleicht doch unpassend ist: Wie ein Kind auf einem Friedhof Schmetterlinge fängt.
Am Ende dann ist der Film aber doch bei sich angekommen, ist eine romantische, aber unkitschige und unsentimentale Feier der einen, großen Liebe, die einen an einem ganz bestimmten Tag trifft, ein Film über das Schicksal, dem man nicht entkommen kann, im Schlechten wie im Guten.
Fazit: Nina Hoss spielt großartig in dieser Liebesgeschichte mit phantastischer Prämisse, der es dennoch nie an emotionaler Glaubwürdigkeit fehlt.