Eine Dokumentarfilmerin, unzufrieden mit ihrem Beruf. Ihr Freund, ein Polizist, der sich am liebsten als ein menschengroßes Kuscheltier verkleidet. Ein Fußpfleger, der sich Hals über Kopf in eine seiner Kundinnen verliebt. Und ein gutbürgerliches Ehepaar, das sich auf einer Autofahrt in einem teuren Mietauto über Gott und die Welt unterhält, auf ihrer Reise zufällig auf den Mitschüler ihres verwöhnten Sohnes trifft und gemeinsam auf eine Katastrophe zurast. Ohne es zu wissen. Verwirrend, verwoben, verstörend - so klingen die Beschreibungen der einzelnen Geschichten in Frauke Finsterwalders Film. Und genau dies ist auch beabsichtigt. Viele Einzelfiguren treffen in einer geschickt ausgeklügelten Dramaturgie aufeinander, sind schicksalsmäßig miteinander verbunden und doch allesamt ganz allein in ihrem manchmal hoffnungslosen, manchmal hoffnungsvollem Dasein. Die Dialoge des exzellenten Drehbuchs - entstanden in Zusammenarbeit zwischen der Regisseurin und dem Romanautor Christian Kracht - sind erfrischend anders und treffen wie Messerstiche in die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft und Zeit. Die Besetzung ist bis in die Nebenfiguren hochkarätig, ob Sandra Hüller, Ronald Zehrfeld oder auch Corinna Harfouch. Wie in einer Spirale drehen sich ihre Charaktere umeinander und sich selbst, bis hin zum konsequent erzählten dramatischen Schluss. Ein großartiges Debüt und ein schwarzhumoriges Porträt unserer Zeit - bitterböse und zutiefst menschlich.
Jurybegründung:
FINSTERWORLD ist ein Mikrozensus des intensiven Blicks hinter das befriedete Deutschland unserer Wohlstandsgesellschaft von heute. Hinter der Befriedung lauert die zugedeckte, verborgene Aggressivität. Ein Ensemble von Figuren wird aufgetischt. Am Anfang erscheinen sie isoliert zu agieren. Vier pubertierende Gymnasiasten in Schuluniform und ihr bemühter Lehrer, ein reiches Ehepaar, das nur mit sich selbst beschäftigt ist, ein korrupter Polizist und seine Freundin, die Dokumentarfilme dreht, aber damit keinen Erfolg hat, ein Eremit im Wald, der ein Abbild unserer Sehnsucht nach einer Gegenwelt zur Zivilisation darstellt und eine verletzte Krähe zu seinem Begleiter macht , eine gepflegte alte Dame im Altersheim mit Sehnsucht nach Liebe und ihr Fußpfleger, der im Auto ohne Führerschein fährt. Nach und nach verweben sie sich zu Zusammenhängen mit meist fatalen Folgen. Wie Magnete werden sie angezogen und abgestoßen.
Maximilian ist ein arroganter pubertärer Fastabiturient, aufmüpfig frech und intrigant. Verletzung anderer ist sein Hauptziel. Das Spiel der Grausamkeit geht so weit, dass beim obligatorischen KZ-Besuch die Klassenkameradin Natalie von ihm und seinem Freund in einen Vergasungsofen eingesperrt wird. Ihr Freund Dominik hatte sich längst abgesetzt und muss diesen Trip der Einsamkeit grausam büßen. Starker Tobak.
Die Kamera ist durchweg lichtvoll, als wollte sie ihre Protagonisten rein waschen. Sie werden uns durchweg als skurrile Sympathieträger gezeigt. Es gibt in diesem Film aber keine reinen Seelen. Sie haben es fast alle faustdick hinter den Ohren. Der korrupte Polizist hat ein seltsames Hobby als Liebhaber von Eisbärfell aus Stoff. Der Fußpfleger backt Plätzchen für seine Lieblingsklientin mit Rückständen seiner Arbeit. Das zärtlich verbandelte überaus versnobte Ehepaar entpuppt sich als die Eltern von Maximilian. Die Provokationen sind skurril und treffend komisch bis zur Schmerzgrenze.
Die positive Eindrücklichkeit von FINSTERWORLD der Regisseurin Frauke Finsterwalder, zugleich Coautorin mit Christian Kracht, gelingt durch das intelligente Drehbuch. Mit leichten oberflächlichen Dialogen wird der Kommunikationsalltag treffend bloßgelegt, dargestellt von einem Schauspielerensemble, das hervorragend agiert.
Man könnte diesen Film eine Komödie nennen, wenn er in seiner Groteske nicht so ernst übereinstimmte mit der Realität. Eine überaus sehenswerte Satire über Abgründe in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die lange wie in einer Schallplattenrille im Gedächtnis hängen bleibt.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)