Selten genug geschieht es im deutschen Film, dass einem Bilder geboten werden, die man zuvor nie gesehen hat. Und wenn es passiert, grenzt es oft genug an substanzlosen Manierismus, vielleicht, weil die Geschichte nicht mithalten kann (wie zuletzt in Für den unbekannten Hund). Und dann aber wieder gibt es Filme, in denen die Innovation der Ästhetik sprich: Stilisierung ganz organisch verwachsen ist mit Dramaturgie und Darstellung zu innerer Konsistenz. Überraschende Filme, die uns staunen machen und gewiss den, der das Konventionelle liebt also realistische Erzählung von wahrhaftigen Problemen unseres Alltags vor den Kopf stößt.
Freischwimmer ist definitiv einer der ganz großen Filme der letzten Jahre. Ein Kriminalthriller aus einer kleinen beschaulichen Fachwerkstadt, wo alles wie im Märchen aussieht oder wie auf der Modelleisenbahn von Rico. Doch natürlich ist das Modell die verbesserte Version der Wirklichkeit, die mit Mord und Eifersucht und Besessenheit und Wahnsinn aufwartet und deren Abgründigkeit der Film so pointiert entlarvt.
Da ist Rico, der unsichere Außenseiter der Schule bezeichnenderweise das Kafka-Gymnasium , der vom Mitschüler Robert getriezt wird und vom Schwimmlehrer Richard verspottet. Robert stirbt vor seinen Augen, nachdem er Ricos Liebesknochen die Spezialität der hiesigen Bäckerei geklaut hat; Richard ist der Liebhaber von Ricos Mutter Regine, der Apothekerin, deren Mann Jahre zuvor unter ungeklärten Umständen ertrunken ist. Regine, die Bäckerstochter, war Roberts Freundin, und Rico ist in diese Schönheit des Dorfes verliebt. In Herrn Wagner, dem Deutsch- und Kunstlehrer, findet Rico Halt: der wohnt in einem riesigen haus im Wald und liebt ebenfalls den Modellbau. Nur eines scheint klar: Der Name des Mörders beginnt mit einem R
Ein vielschichtiges Handlungsnetz, ein komplexes Geflecht an Beziehungen und Abhängigkeiten, an Liebe und Hass herrscht in dem Ort: Die perfekte Basis für einen Thriller, der alles umstülpt und dabei die Wahrheit eines vermeintlich modellhaften Lebens hervorkehrt. All dies wird getragen von den Darstellern Rico (Frederick Lau) ist der stets weinerliche Underdog, der es faustdick hinter den Ohren hat (und damit ist nicht nur sein Hörgerät gemeint), Devid Striesows Schimmlehrer Richard ist ein Schinder, ein Choleriker, der auch ganz leise gemein sein kann. August Diel mit Wampe und Kunstlehrerbart sieht aus wie ein weicher Keks, kann aber auch austeilen, nicht nur beim Lehrerskat in der Kegelbahn. Und auch die Nebenfiguren fügen sich ins große Bild ein, der Schuldirektor, der sich ob der Ereignisse vor allem um sein Schulfest sorgt (Jürgen Tarrach), oder die salbungsvolle Pfarrerin, die raucht und säuft und gerne Detektiv spielt.
Und all dies erzählt Andreas Kleinert mit ganz übersteigerten filmischen Mitteln, in prächtigen Farben, mit überbordender Ausstattung eine Form, die einerseits die Abgründigkeit der Geschichte mit ihrer Werbefilmschönheit konterkariert, die andererseits mit dezidierter Symbolik einen weiten Assoziationsraum schafft. Ein Pendeln zwischen demonstrativer Banalität und provozierendem Tiefsinn, die den Film noch einmal erhebt auf eine Ebene irgendwo zwischen ernsthafter Kunst und nachgerader Parodie auf die Klischees von Harmonie, von Thrill, kurz einer Parodie auf sich selbst.
Gekonnt legt der Film dabei Wert auf seine innere Dynamik, auf Geschwindigkeit und Gemächlichkeit, auf Lärm und Stille, auf bösen Witz und horrorhafte Unheimlichkeit. Und so durchleuchtet er oberflächliche Fassaden, kehrt das Innerste hervor und belässt am Ende doch allem seine innewohnende Schönheit.
Fazit: Ein überhöht stilisierter, meisterhaft konstruierter Thriller voll bösem Witz, der sich nicht um Konventionen schert und genau deshalb lange im Gedächtnis bleibt.