FBW-Pressetext:
Ein Debütfilm wie ein Paukenschlag: Mutig, originell und radikal.
Der autobiografisch inspirierte Film von Faraz Shariat erzählt die Geschichte des jungen Deutsch-Iraners Parvis, der während seiner Sozialstunden in einer Geflüchtetenunterkunft auf ein iranisches Geschwisterpaar trifft. Mit eindringlicher Intensität, einem genauen Gespür für die Konflikte der Figuren und einem kongenialen Cast gelingt Faraz Shariat ein sensationelles Langfilmdebüt.
Schon die erste Szene lässt die große Nähe erkennen, mit der die Kamera von Simon Vu der Figur des Parvis begegnet. Der junge Mann lebt mit seinen Eltern in Hildesheim. Die stammen aus dem Iran, lieben und verhätscheln ihren Sohn ein wenig - und haben eigentlich kein Problem mit seinem Schwulsein. Doch ein nicht-heterosexuelles Erwachsenwerden in der Provinz ist immer eine Herausforderung. Parvis‘ Unsicherheit bei der Identitätssuche und dem Zwischen-den-Welten-Wandern kann man sich als Zuschauer*in in keiner Minute entziehen, was den Film zu einem körperlich spürbaren intensiven Kinoerlebnis macht. Mit der Geflüchtetenthematik erwächst ziemlich schnell ein weiterer Themenkomplex in der Handlung, der den Film durch die große gesellschaftliche Relevanz noch dichter und komplexer macht. Denn die Geschwister sind nicht nur einzigartige Menschen, mit denen Parvis bald eine ganz besondere Beziehung verbindet, sie haben auch existenzielle Probleme, die Parvis mit seinem eigenen Selbstverständnis konfrontieren. In Bezug auf seine Nationalität, seine Sexualität, seine Identität. Die drei Nachwuchsdarsteller*innen Benjamin Radjaipour, Eidin Jalali und Banafshe Hourmazdi verkörpern ihre Figuren mit einer so großen Präsenz, dass man ihnen ewig zuschauen könnte. Die Inszenierung ist originell und konsequent mutig, bis hin zu surreal anmutenden Sequenzen, die Dialoge sind wahrhaftig, die Montage mit gutem Beat, ebenso wie der antreibende und passend ausgewählte Soundtrack. FUTUR DREI ist junges deutsches Kino, wie es besser nicht geht. Mutig und ehrlich, sanft und wild zugleich.
FBW-Jury-Begründung:
Das Futur III soll als Tempus ein Ereignis beschreiben, das in der Zukunft mit größter Wahrscheinlichkeit nicht eintreffen wird - und letztlich beschreibt das die Situation der Protagonisten in Faraz Shariats Film FUTUR DREI ziemlich treffend.
Der Regisseur und Drehbuchautor erzählt die autobiografisch gefärbte Coming-Of-Age Geschichte des jungen Parvis. Dessen Eltern sind einst aus dem Iran geflüchtet und haben es in Deutschland mit viel Arbeit zu einem gewissen Wohlstand gelangt. Parvis selbst ist schon in Deutschland geboren, scheint aber nicht bereit ein eigenes Leben führen zu wollen. Er kann in der bürgerlichen Sicherheit seiner nächsten Umgebung seine Homosexualität ziemlich offen ausleben, langweilt sich dennoch entsetzlich. Als er nach einem Ladendiebstahl Sozialstunden in einer Flüchtlingsunterkunft ableisten muss, lernt er dort die iranischen Geschwister Banafshe und Amon kennen und mit ihnen auch ein ganz anderes Leben.
Die Jury ist sich einig: Selten, vielleicht sogar nie zuvor, hat sie in ihren Sitzungen einen Film erlebt, der sie so positiv überrascht hat. FUTUR DREI ist nicht nur erstklassig besetzt, sondern auch in hohem Maß individuell, bisweilen sogar egozentrisch, immer aber höchst kreativ, authentisch, sensibel und stets voller Wärme. Obwohl Shariats Spielfilm gleich mit doppeltem Coming-Out, nämlich einem schwulen und einem kulturellen, aufwartet, gerät er nicht einmal einen gefühlten Hauch weit in die Nähe von Familiendrama, Betroffenheits- oder Problemfilm. Im Gegenteil! Shariats Film hat sich befreit von ärgerlichen Klischees, Mitleidszenen und auch den leidlich bekannten Vorgaben zur Ausgewogenheit der verschiedenen Fördererinstanzen. FUTUR DREI vibriert, lebt und atmet. Die Jury zeigte sich begeistert von der Erzählkunst und den frischen, unorthodoxen Bildern. Obgleich sie bisweilen an surreale Musikvideos erinnern, verstellen sie nie den Blick auf die gesellschaftsrelevanten Inhalt des Films.
Einerseits driften Parvis, Banafshe und Amon ziellos durch den Sommer, durchfeiern mit Freunden die Nächte und verschlafen halbe Vormittage, andererseits bahnt sich zusehends die Katastrophe an. In dem Maße wie Banafhes Abschiebung zur greifbaren Realität wird, geraten die nächtlichen Ausflüge zur wehmütigen Erinnerung für die drei Protagonisten. Aber auch für die Zuschauer, denn die sind von Anfang an mitten drin, in der Filmhandlung. Das große Vermögen Shariats besteht darin, das Publikum in den Bann des Augenblicks zu ziehen und unmittelbar zu involvieren.
FUTUR DREI ist in jeder Szene unglaublich dicht am Geschehen. Ohne jemals aufdringlich zu wirken, lässt Shariats Spielfilmdebüt die Zuschauer an Parvis plötzlichem Erwachsenwerden teilhaben. Mit unglaublicher Wucht nähert er sich einem gesellschaftlich sensiblen Thema - und diese Wucht ist gut so! Die farbenfrohe, lebensbejahende Bildsprache schafft genauso Atmosphäre, wie der rauschhafte Soundtrack des Films. Nichts wirkt peinlich, nichts aufgesetzt. Weder die durchaus reichlich vorhandenen Sexszenen, noch die innere Zerrissenheit aller Beteiligten.
„Ich erlebe alles zweimal. Als der Mensch, der ich hätte sein können und als der, der ich bin“, lässt Shariat einmal seine Protagonistin Banafshe formulieren und das ist vielleicht das durchgängigste Motiv des Films. Parvis, Banafshe und Amon sind gefangen. Gefangen in ihrer Herkunft, gefangen in Gesetzen und Regeln. So wie sie sind, schaffen sie es kaum, Eingang in den narrativen Kontext unserer Gesellschaft zu finden. Ihre Träume, Wünsche und Sehnsüchte aber, und das zeigt der Film, sind echt und mindestens genauso wichtig wie die der weißen, heteronormativen Mehrheitsbevölkerung des Landes.
Der Film erscheint zunächst zwar formal relativ leicht, stemmt allerdings schwerwiegende Themen. Dass FUTUR DREI diesen Gegensatz bewältigt, spricht für die Meisterschaft Faraz Shariats.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)