Es ist lange her, dass Helene Brindel so etwas wie Glück empfunden hat. In ihrer Ehe, die Routine ist, findet sie es nicht mehr. Und auch den Glauben, der für sie Zeit ihres Lebens immer wichtig war, scheint sie verloren zu haben. Über einen Bericht wird Helene eines Tages auf den Gehirnforscher Eduard E. Gluck aufmerksam, der seine ganz eigene Theorie zum Thema Glück entwickelt hat. Helene ist fasziniert, reist sogar zu einem seiner Vorträge, um ihn zu treffen. Aus einem ersten zögerlichen Annähern wird bald eine gegenseitige Zuneigung zweier verwandter Seelen. Doch Helene ahnt nicht, dass Eduard mit inneren Dämonen zu kämpfen hat, die eine normale zwischenmenschliche Beziehung unmöglich machen. Und Helenes Mann beobachtet argwöhnisch seine Frau, die durch Eduard an Selbstbewusstsein gewinnt. Und die langsam wieder lernt, das Glück in ihr Leben zu lassen. So kurz und so gleißend es auch ist. Fast schon kammerspielartig wirkt die Szenerie in dem Film von Sven Taddicken, der seine Figuren ständig umeinander und auch um sich selbst kreisen lässt. Der Film basiert auf der Vorlage von A.L. Kennedy und erzählt die Geschichte zweier Menschen, die in ihren Fehlbarkeiten gefangen sind und nach dem langersehnten ultimativen Glück suchen. Dass gerade Helene bei der Suche nach diesem Glück durch eine wahre Hölle gehen muss, ist ein konsequenter Handlungsverlauf und schafft in der Geschichte immer wieder überraschende dramatische Höhepunkte, die für den Zuschauer in ihrer Radikalität die Figuren und ihre komplexe Situation rund und greifbar machen. Martina Gedeck brilliert als Helene. Ist sie zu Beginn noch zugeknöpft, altbacken und in ihren Bewegungen kantig und zurückhaltend, so öffnet sie sich nach und nach mit all ihrer sinnlichen Weiblichkeit für die Welt und den Zuschauer. Ulrich Tukur als Gluck und Johannes Krisch als frustrierter Ehemann stehen Gedeck in nichts nach und entfachen mit ihrem Spiel eine Flamme der Emotionen, die jedoch unter der Oberfläche flackert, bereit, jederzeit aufzulodern. Setting, Kostüm und Ausstattung sind perfekt aufeinander abgestimmt und lassen gekonnt eine Art Zeitlosigkeit der Handlung erahnen, das Haus von Helene und ihrem Mann wirkt bieder, altmodisch, gespenstisch, fast schon tot. Ein Spiegelbild von Helenes Seelenleben. Die Lichtsetzung und die Montage überzeugen ebenfalls, die Musik wird sparsam eingesetzt, unterstützt aber mit dem Mut zur Dramatik die wichtigen Spannungspunkte im Film. Unterteilt ist der Film in Kapitel, die jeder Sequenz einen bestimmten Ton verleihen. Am Ende fällt Helene eine drastische Entscheidung, die von Taddicken auf eindrückliche Weise in Szene gesetzt wird. Mit GLEISSENDES GLÜCK ist Sven Taddicken ein Film gelungen, der durch die Kraft seiner Bilder, seiner Geschichte und seiner Darsteller die Zuschauer über den Kinobesuch hinaus begleiten wird. Ein kraftvolles Drama über das Suchen und Finden von Glück. Und vor allem sich selbst.
Jurybegründung:
Früher, als Helene Brindel (Martina Gedeck) noch an Gott glaubte, war alles gut. Doch seitdem sie ihren Glauben verloren hat, ist nichts mehr so wie zuvor. Nachts wacht sie auf und findet nicht mehr zurück in den Schlaf, sie geistert dann durch das Haus, richtet das Brot und den Saft für ihren Mann und schläft erst gegen Morgen wieder ein. Und ihr Gatte zeigt wenig Verständnis für das Verhalten seiner Frau - für das frühere, das von einer tiefen Frömmigkeit geprägt war, ebenso wenig wie für das jetzige. Die Spannung zwischen den beiden Eheleuten ist mit den Händen zu greifen. Und manchmal bricht es aus dem Mann (kongenial verkörpert von Johannes Krisch) hervor und entlädt sich in gewalttätigen Übergriffen gegen seine leidende Frau. Bis die ehemals fromme Helene eines Tages einen Radiobeitrag über den Gehirnforscher Eduard E. Gluck (Ulrich Tukur) hört, der mit seiner „neuen Kybernetik“ verspricht, dass jede/r seines Glücks Schmied sein kann und dass sich das Gehirn umprogrammieren lässt wie ein Computer. Also macht sie sich unter einem Vorwand auf nach Hamburg, wo Gluck gerade einen Vortrag hält und spricht den Wissenschaftler mutig an. Zwischen den beiden entsteht eine Verbindung, die Helene schließlich zurück führt in ein neues Leben. Doch auch Gluck ist eine leidende Seele …
Auch wenn GLEISSENDES GLÜCK im Grunde schwere und auch düstere Fragen über menschliche Abgründe und das Ringen um die eigene Identität und die Autonomie verhandelt, so löst dieser Film für den Zuschauer das ein, was der Titel verspricht: „Gleißendes Glück“. Das liegt an vielen Faktoren - zuvorderst an den durchweg exzellenten Schauspielern, bei denen neben Martina Gedeck und Ulrich Tukur vor allem Johannes Krisch als gewalttätiger Ehemann hell leuchtet.
Auch die Ausstattung ist mehr als gelungen: Obwohl der Film eindeutig in der Gegenwart verortet ist, fühlt man sich immer atmosphärisch wieder auf die 1950er und 60er Jahre verwiesen, auf eine bleierne Zeit also, in der Rollenbilder und Glaubensfragen eine ähnliche Dringlichkeit besaßen wie in dem Film selbst.
Beeindruckend beispielsweise, wie Sven Taddicken den finalen Gewaltausbruch im Hause Brindel inszeniert: Der Zuschauer wird Zeuge einer stummen Tat, aus der die Menschen subtrahiert zu sein scheinen. In SloMo-Tableaus sehen wir nur, wie die Gegenstände umherfliegen, die Möbel zu Bruch gehen, das Glas splittert, nicht aber die Handelnden selbst - eine Szene von irritierender Intensität, die wieder einmal daran erinnert, wie subtil und wirkungsvoll Gewalt inszeniert werden kann, ohne erbarmungslos draufzuhalten.
Aufgrund der Schonungslosigkeit, mit der Sven Taddicken seine Geschichte vorträgt und auch wegen einiger durchaus ambivalenter Wendungen wie etwa dem finalen Opfergang Helenes, der Erinnerungen an Lars von Triers Film BREAKING THE WAVES hervorruft, besitzt der Film durchaus das Potenzial, sein Publikum zu spalten und aufzurütteln. Doch genau hierin besteht seine besondere Qualität, die den Film weit über das Niveau ähnlicher Werke heraushebt. Ein Glücksfall!
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)