Heino Jaeger gehörte als Maler und Satiriker lange Zeit einem anarchistisch-künstlerischen Milieu rund um die Hamburger Anti-68er-Strömung an. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit, die Gerd Kroskes Dokumentarfilm aufbereitet. Denn Kroske begibt sich im dritten Teil seiner Hamburg-Trilogie auch auf die Suche nach Ursachen, weshalb Jaeger alkoholabhängig wurde und mit nur 59 Jahren in psychiatrischer Behandlung starb. Kroske unterhält sich nicht nur ausführlich mit Freunden, Kollegen und Verwandten, sondern lässt Jaegers Werke auch für sich selbst „sprechen“. So findet er Erklärungen für dieses nahe Zusammenliegen von künstlerischem Schaffen und persönlichem Scheitern: ein faschistischer Vater und traumatische Kriegserlebnisse boten Stoff für seine Kunstwerke und satirische Radiobeiträge, entfremdeten ihn aber gleichzeitig immer mehr von der Gesellschaft, auf die er selbst einen so augenzwinkernden Blick warf. Der Film zeichnet das Porträt einer vielschichtigen Persönlichkeit. Auch für die, die Heino Jaeger lange Zeit begleitet haben, blieb er immer rätselhaft und ambivalent. Ein unterhaltsames Künstlerporträt und nebenbei auch eine höchst informative Gesellschaftsstudie.
Jurybegründung:
Mit dem Porträt des Malers, Kabarettisten, Performance-Künstlers und Radio-Moderators setzt Dokumentarfilmer Gerd Kroske seine Porträtserie prominenter Hamburger Persönlichkeiten fort, die er mit dem „Boxprinz“ begann und mit „Wollis Paradies“ fortsetzte. Über den einstigen Kiezkönig „Wolli“ Köhler wurde er auf Heino Jaeger aufmerksam, der die alternative Kunstszene der BRD in den 1960ern und 70ern mitprägte und schon zu seinen Lebzeiten Ende der 1980er beinahe vergessen war.
Jägers Leben war überschattet von seinen Kindheitserlebnissen, dem Bombenangriff auf Dresden, den er überlebte. Sein Vater war Nazi. Er hat eine gute Beobachtungsgabe, bringt das Charakteristische an der Persönlichkeit des Menschen mit dem Zeichenstift und der Stimme auf den Punkt. Seine Malerei ist dabei stets eine kreative Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Kunst der Jahrhundertwende und der Nazi-Symbolik, sie verweigert sich allen Einordnungen. Als beißender Kommentator des Zeitgeistes und glänzender Hitler-Parodist tritt er unter anderem mit Hanns Dieter Hüsch auf und moderiert für den Saarländischen Rundfunk die unvergessene Rundfunkreihe „Fragen Sie Dr. Jaeger“. Der Sender trennt sich von ihm, Jaeger hatte Termine platzen lassen. Sein Alkoholproblem ist unübersehbar. Nach mehreren Bränden und anderen Vorfällen weist er sich Mitte der 1980er Jahre selbst in das psychiatrische Pflegeheim Bad Oldesloe ein, wo er entmündigt 1997 in schizoider Dämmerung verstirbt.
Die Bilder und Zeichnungen Jaegers sind überliefert, ebenso die Sendung des Saarländischen Rundfunks und viele Fotos. Filmaufnahmen sind rar. Aus diesem Material sowie den Erinnerungen von Familienmitgliedern, Freunden und künstlerischen Wegbegleitern schuf Kroske das Porträt eines 68ers, der nicht aus dem intellektuellen Milieu kommt, der künstlerisch im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen die Brücken zur Vergangenheit nicht radikal abbricht, sondern sich an der Last der Vergangenheit reibt, ihr Bewahrenswertes entdeckt und an ihr verzweifelt, der letztlich auch in der künstlerischen Reflexion von Gegenwart und Vergangenem keine Basis der psychischen Verarbeitung findet. Jaeger flüchtet sich in eine anarchisch anmutende Verrücktheit, die bald in wirklichen Wahn übergeht.
Kroske nähert sich Jaeger zunächst über die Bewunderer und Unterstützer seines malerischen Werkes und entblättert dann langsam und dramaturgisch schlüssig die Biografie des Ausnahmekünstlers, der es nie verstand, sich selbst zu vermarkten und sich auch nie vermarkten oder vereinnahmen ließ. Eines Menschen, der keinen Menschen je wirklich nahe an sich heran ließ. Als die Zeit der Provokationen vorbei geht und die langweiligen 1980er beginnen, kann und will sich Jaeger nicht anpassen. Seine Zeit ist vorbei, die psychische Labilität bricht sich Bahn.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)