Kino kann sozialisieren, kommentieren und kritisieren. Unsere Lachmuskeln beanspruchen, uns Tränen entlocken und uns vor lauter Spannung an den Kinosessel fesseln. Doch das Medium Film kann uns auch traumatisieren, tyrannisieren und uns auf eine perfide Art und Weise zugleich sensibilisieren. Welche Szenen unsere Redaktion dabei am meisten verstört haben, erfahrt ihr anbei. Doch seit gewarnt: Es wird äußerst ungemütlich!
Andi: Warum, Darren Aronofsky… warum?
Darren Aronofskys „mother!“ fühlt sich wie ein irrer Fiebertraum an, weswegen ich den Film auch nicht sonderlich mochte. Eine abgedrehte Version des Schöpfungsmythos? Wirklich? Brauchten wir das als Metapher für die Ausbeutung des Planeten? Negativ stieß mir dabei vor allem die Szene auf, als Aronofsky es mit seiner Jesus-Parallele dezent übertrieb.
Die Mutter (Jennifer Lawrence), die für die Natur steht, will ihr neugeborenes Kind vor ihrem Mann (Javier Bardem), der Gott darstellen soll, eigentlich beschützen. Durch ihren Sekundenschlaf gelingt es ihm dann doch, das Kind zu stehlen, das er anschließend einer frenetischen Menschenmenge übergibt, die das Baby auf Händen trägt – und dabei nicht den Kopf des Kleinen unterstützen.
Was folgt, ist eine widerliche, weil realistisch wirkende Darstellung davon, wie das Baby das Gewicht seines Kopfes nicht halten kann – und ihm deswegen zum absoluten Entsetzen seiner Mutter und meiner Wenigkeit das Genick bricht. Mit dem Tod endet die Jesus-Metapher noch nicht: In Anlehnung an die Hostie, die auch als Leib Christi angesehen wird, essen die Menschen anschließend das Baby. Wir sehen davon mehr oder weniger „nur“ das Ergebnis und nicht den Prozess selbst, aber diese ganze Szene führte trotzdem dazu, dass ich letztlich zitternd aus „mother!“ ging. Bezeichnet mich ruhig als kontrovers, aber ich finde, Gewalt gegen Babys ist eine Spur drüber…
„mother!“ könnt ihr bei Paramount+ streamen.
Anne: Albtraumhafter Neonazi-Knochenbrecher
„American History X“ hat einige erschütternde Szenen zu bieten, am meisten verstört hat mich jedoch die, in der Derek (Edward Norton) einen Schwarzen Mann mit Waffengewalt zwingt, den geöffneten Kiefer an einen Bordstein anzulegen, um ihm dann mit einem Tritt brutal den Schädel zu zerschmettern… Das Geräusch bekomme ich bis heute nicht aus dem Kopf.
„American History X“ könnt ihr euch bei Amazon auf DVD und Blu-ray sichern.
Dennis: Unwissenheit ist oftmals Folter und Segen zugleich
Rex und Saskia sind ein junges Pärchen aus Amsterdam, die mit ihrem Auto auf dem Weg in den Urlaub nach Frankreich sind. Sie halten an einer Autobahnraststätte, wo Saskia in der Tankstelle Getränke kaufen will. Eine ganze Weile wartet Rex darauf, dass seine Freundin zurückkehrt, doch das tut sie nicht. Saskia bleibt spurlos verschwunden. Einige Jahre später hat Rex das Verschwinden seiner Partnerin noch immer nicht verarbeitet. Da wird er plötzlich von einem unbekannten Franzosen aufgesucht, der sich als Saskias Entführer zu erkennen gibt. Wenn Rex herausfinden möchte, was mit seiner Freundin damals geschehen ist, muss er genau das gleiche durchleben wie sie.
Allein schon die Prämisse von „Spurlos verschwunden“ ist überaus verstörend, dessen Schlusssequenz bei mir starke Alpträume verursacht hat. Zugegeben: Ich war erst zarte elf Jahre alt, als ich mir den Film angesehen habe. Doch die Auflösung, die sich am Ende offenbart, hatte mich damals so sehr verstört, dass sie sich bis heute tief in meinem Kopf eingebrannt hat. Und obwohl ich den Film in meinem persönlichen Umfeld immer wieder als Positiv-Beispiel für einen guten Thriller anführe, habe ich es bis heute nicht gewagt, ihn mir ein zweites Mal anzuschauen. Mit „Spurlos“ gibt es übrigens auch ein US-Remake mit Kiefer Sutherland, Jeff Bridges und Sandra Bullock, das 1993 in die Kinos kam. Hier hat man sich allerdings dem verstörenden Finale entledigt und lieber ein hollywoodtypisches Happy-End gewählt.
„Spurlos verschwunden“ findet ihr bei Amazon auf DVD und Blu-ray.
Eileen: Kleine Monster, großes Trauma
Eine Sache vorweg: Als ich „Don’t Be Afraid of the Dark“ zum ersten Mal geschaut habe, war ich zwölf Jahre alt – da war es eigentlich schon programmiert, dass mich der Film nicht mehr schlafen lassen wird. Im Nachhinein denke ich mir auch, dass von einem Drehbuch des „Pans Labyrinth“-Regisseurs Guillermo del Toro nichts anderes zu erwarten war. „Don’t Be Afraid of the Dark“ handelt von dem kleinen Mädchen Sally (Bailee Madison), die zu ihrem Vater Alex (Guy Pierce) und ihrer Stiefmutter Kim (Katie Holmes) in ein altes Anwesen zieht. Nach kurzer Zeit stellt sich jedoch heraus, dass das Haus von bösartigen Kreaturen bewohnt wird, die das Haus für sich in Anspruch nehmen wollen – mit allen (un-)erdenklichen Mitteln.
Der Film wimmelt von verstörenden Szenen, die nicht nur Zwölfjährigen tief in den Knochen sitzen bleiben: Die Handlung beginnt beispielsweise damit, dass einem Zimmermädchen ihre Zähne rausgerissen werden, die an die Kreaturen verfüttert werden. Eine weitere Sequenz, die mir nie wieder aus dem Kopf gehen wird, ist als der Gärtner des Hauses von den Kreaturen mittels (Garten-)Scheren, Nadeln und Küchenmessern qualvoll zerstochen wird. Aber die Szene, die ich bis heute nicht schauen kann, ohne mir die Augen – oder vielmehr meine Ohren – zuzuhalten, ist das Finale des Filmes.
„Don’t Be Afraid of the Dark“ steht euch bei Prime Video als Leih- sowie Kauftitel zur Verfügung.
Jule: Mein neuer Feind, die Käsereibe
In diesem Jahr habe ich eines über meine eigene Schmerzgrenze bei Horrorfilmen gelernt: Es sind nicht etwa blutrünstige Szenen mit Axthieben, Messer- oder Machetengemetzel, die mich zum Schaudern bringen – sondern jene, die ganz normale Alltagsgegenstände zweckentfremden. Eines solchen Moments hat sich dieses Jahr Lee Cronins „Evil Dead Rise“ bedient.
Wohl jeder weiß um den Schmerz, wenn man mit dem Finger zu nah ans Schnittfeld einer Käsereibe gelangt. Oft nur eine kleine Wunde, die noch Tage später für ungeheure Beschwerden und blutdurchtränkte Pflaster sorgt. Da kann man sich leider nur allzu gut ausmalen, welche Qualen Beth (Lily Sullivan) durchlebt, als ihr ihre vom Bösen besessene Nichte Bridget (Gabrielle Echols) mit dem Küchengerät einmal über den nach Hilfe lechzenden Arm fährt und ihr direkt mal ein gutes Stück Fleisch weghobelt.
Ich bin ehrlich: Seither habe ich stets mit einem kurzen Überwindungsmoment zu kämpfen, wenn ich beim Kochen meine Käsereibe nutzen muss. Jedes Mal kommt mir dieses Bild in den Sinn. Und da dachte sich das Jahr 2023: Komm, das können wir doch gleich noch mal! Denn eine ähnlich ekelerregende Szene war in der Serie „The Walking Dead: Dead City“ zu sehen. Darin fährt Negan (Jeffrey Dean Morgan) seinem Gegenüber mit der Käsereibe aber nicht „nur“ über den Arm, sondern direkt durchs Gesicht. Reibekäse und ich haben jetzt eine ganz besondere Beziehung zueinander.
Übrigens: Bei der Deutschlandpremiere von „Evil Dead Rise“ im April 2023 erhielten die Zuschauer*innen in Anlehnung an die Szene ein kleines Geschenk – ganz genau, eine Käsereibe. Guten Appetit!
„Evil Dead Rise“ könnt ihr euch bei Amazon auf DVD und Blu-ray sichern.
Krizzy: Ich bin froh, dass ich kein Guppy bin
Ich mag am liebsten Filme, die keine Komödien sind und in denen Sex und Tod mit Humor genommen werden. Sofern sie schön gemacht sind, ist dabei eine gewisse Verstörung nie ausgeschlossen. Ich mag grundsätzlich Verstörung beim Filmschauen sehr.
Gefragt nach der verstörendsten Szene meiner persönlichen Filmgeschichte fiel mir aber sofort die Massenvergewaltigung aus Hubert Selbys „Last Exit to Brooklyn“ ein, die von Uli Edel und Bernd Eichinger verfilmt wurde, über die ich hier aber nicht näher schreiben möchte.
Dann der insgesamt verstörende Film „Themroc“ mit Michel Piccoli, der aber in Deutschland sehr schwerlich zu bekommen ist und für welche der vielen Szenen hätte ich mich da entscheiden sollen?
Ein ganzer Reigen an verstörenden Szenen aus allen Genres tut sich plötzlich auf, wenn man darüber nachdenkt und die Wahl fällt schwer. Ich habe mich für eine verstörende Szene entschieden, die in meinem Leben offensichtlich ein Highlight sein muss, weil sie mir schon seit Jahrzehnten fest ins Gehirn gebrannt ist.
Es ist der Guppy aus „Meet the Feebles“ von Peter Jackson. Ein Film mit Puppen, der auf Jim Hensons berühmte „Muppet Show“ anspielt. Dabei ist der Chef der Varieté-Show ein Walross. Ein ambitionierter, gesangstalentierter Guppy bewirbt sich um einen Platz am Theater und singt persönlich bei ihm vor. Kaum hat er angestimmt, verspeist ihn das Walross mit einem Haps.
Um einiges später ist das Walross auf dem Golfplatz und muss sich übergeben. Dabei kommt auch der Guppy zum Vorschein, der keineswegs unversehrt ist. Dennoch nutzt das kleine Fischlein seine letzte Kraft, um zu fragen: „Hat ihnen mein Liedchen gefallen?“.
Das hat mich lange beschäftigt beziehungsweise verstört. Ist das einfach nur dumm oder hat dieser süße, liebenswerte, unglaublich höfliche und todgeweihte Guppy tatsächlich die beste Lebensphilosophie, die man haben kann? Einfach alles ignorieren, was dagegen spricht und bis zum Schluss seinen Traum verfolgen und dabei immer freundlich bleiben? Was wären in dieser Situation meine letzten Worte?
„Meet the Feebles“ könnt ihr in Deutschland nur auf DVD kaufen.
Lucie: Der beklemmendste Musikfilm aller Zeiten
Isabelle Huppert gibt in Michael Hanekes Drama „Die Klavierspielerin“ als verklemmte Klavierlehrerin, die mit 30 immer noch vollkommen unter der Kontrolle ihrer Mutter steht und mit tief unterdrückten sexuellen Fantasien kämpft, eine wahnsinnig starke Performance ab. Es ist schwierig zu sagen, welche Szene mich am meisten verstörte, da der gesamte Film es schafft, mit voyeuristischen Aufnahmen über Impulse und Kontrolle (wo definitiv die eine oder andere Trigger-Warnung angebracht ist) ein enormes Unwohlsein aufkommen zu lassen. Am meisten hat sich jedoch die Endszene des Films und Isabelle Hupperts Blick in meine Netzhaut eingebrannt. Definitiv ein Film, den ich weiterempfehlen, aber kein zweites Mal gucken wollen würde.
„Die Klavierspielerin“ gibt es bei Amazon auf DVD.
Marek: Ein Schnitt durch die Kehle mitten in die Magengrube
Wer einen Horrorfilm schaut, legt es natürlich bewusst darauf an, durch verstörende Bilder um den Schlaf gebracht zu werden. Bei Vertretern anderer Genres sieht die Sache hingegen ganz anders aus. Ein kurzer, aber prägnanter Gewaltexzess, der aus dem Nichts kommt, wirkt naturgemäß deutlich erschreckender. Bestes Beispiel ist der zwar rätselhafte, bis zu seinem Mittelteil aber ausschließlich unterschwellig bedrohliche Thriller „Caché“ von Michael Haneke.
Nun ist der österreichische Regisseur spätestens seit seiner mit kaum zu ertragenden Grausamkeiten gespickten Provokation „Funny Games“ dafür bekannt, sein Publikum herauszufordern, dennoch wähnt einen die Eleganz von „Caché“ lange Zeit in trügerischer Sicherheit, ebenso wie die nicht ganz nachvollziehbare Altersfreigabe ab 12 Jahren. Umso schockierender schlägt Haneke dann zu.
Hauptfigur Georges Laurent, ein wohlhabender Literat aus Paris, und seine Familie werden heimlich gefilmt und erhalten das Videomaterial anschließend per Post. Georges vermutet, dass der gebürtige Algerier Majid hinter den Drohungen steckt, der als Kind von seinen Eltern adoptiert, dann aber fortgeschickt wurde, wofür George als sechsjähriger Junge verantwortlich war, der aus Eifersucht Lügen über Majid verbreitete. Will sich der Verstoßene nun als Erwachsener rächen? Georges ist davon überzeugt und will Majid mit den Videos konfrontieren. Der lädt ihn daraufhin in seine bescheidene Wohnung ein. In dem Moment, wo sich beide Männer gegenüberstehen, greift Majid zu einer Rasierklinge und schneidet sich die Kehle durch. Ein heftiger Blutspritzer klatscht förmlich auf den Bildschirm und ich zucke zusammen. Wenige Momente später muss ich die Pausetaste des DVD-Spielers betätigen und mich mit meinem Freund, mit dem ich den Film gemeinsam schaue, austauschen. Ist das gerade wirklich passiert? Wir beide brauchen einen Moment, um das Gesehene zu verkraften und bis heute schaudert es mich, wenn ich den Film noch einmal ansehe oder nur an ihn denke.
„Caché“ könnt ihr euch bei Amazon auf DVD sichern.
Olli: Der Direktexpress in die Body-Horror-Hölle
Filme und Serien verstören mich meist, wenn es sich um gegen Menschen gerichtete Gräueltaten ohne rationale Motive handelt, die sich tatsächlich ereignet haben – als Beispiele seien hier Amom Göths Morgenritual aus „Schindlers Liste“ und die Entdeckung des Konzentrationslagers in „Band of Brothers“ genannt.
Als Teenager habe ich jedoch eines späten Abends durchs TV-Programm gezappt und wurde von einer Szene verstört, die kaum weiter von der Realität entfernt sein könnte. Denn ich landete ausgerechnet bei der Spider-Head-Szene aus „Das Ding einer anderen Welt“. Während ein Großteil der Arbeiter in der isolierten Forschungseinrichtung in der Antarktis damit beschäftigt ist, herauszufinden, wer von ihnen der außerirdische Formwandler ist, versucht ein Mitglied der Truppe, seinen Kollegen zu reanimieren. Sobald er den Defibrillator ansetzt, beginnt das Body-Horror-Fest.
Denn in letzter Sekunde öffnet sich der Bauch der Leiche (die von dem außerirdischen Wirt befallen ist) und beißt dem vermeintlichen Lebensretter seine Arme ab. Aus dem Körper räkeln sich die Tentakel, grüne Säure spritzt vulkanartig aus dem Magen und ehe man sich versieht, räkelt sich ein absolut widerwärtiges Wesen bestehend aus Fleisch, Haaren und einem deformierten Gesicht aus dem Körper. Als MacReady (Kurt Russel) dem Monster mit seinem Flammenwerfer einheizt, trennt sich zudem der Kopf der Leiche ab, lässt sich dürre Stelzen wachsen und stolziert als flambierter Spinnen-Kopf-Hybrid durch das Schreckenskabinett.
Zwar mag das Body-Horror-Spektakel aufgrund der in die Jahre gekommenen Effekte heutzutage nicht mehr wirklich gruselig erscheinen, doch die drei Minuten haben mich als Teenager so dermaßen verstört, dass ich den Film zunächst als Schund abstempelte und mich Jahre lang nicht an eine Sichtung gewagt habe. Erst als junger Erwachsener gab ich dem Streifen noch einmal eine Chance und prompt avancierte „Das Ding aus einer anderen Welt“ zu meinen absoluten Horror-Favourites. Die verstörende Erinnerung klebt allerdings immer noch in meinen Hirnwindungen.
„Das Ding aus einer anderen Welt“ könnt ihr mit einer Premium-Mitgliedschaft bei RTL+ streamen oder bei Amazon auf DVD und Blu-ray erwerben.
Teresa: Jumpscares waren gestern
Eine verstörende oder schockierende Szene ist für jede*n einzelnen subjektiv. Die einen trifft der Jump-Scare, die nächsten ein Moment der Gewalt – bei mir war es vor allem die Soundkulisse im Kinosaal, die mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ. In „Hereditary“ gibt es sicherlich genügend andere WTF-Momente, die in dieser Liste gut aufgehoben wären. Ich wähle jedoch die Szene, in der Charlies Geist in ihrem Notizbuch schreibt oder vielmehr „kratzt“. Mutter Annie (Toni Collette) hört zumindest genauso wie das nichtsahnende Publikum nur das Kratzen des Stiftes auf Papier. Im Kino nahm ich anfangs an, dass die Geräusche von anderen Personen im Saal kämen. Doch je länger die Szene andauerte, desto bewusster wurde mir, dass ich mich gemeinsam mit Annie über das wunderte, was im Zimmer von Charlie vor sich geht. Der Schock hält bis heute nach.
„Hereditary“ steht euch bei Prime Video zum Kaufen wie auch Leihen zur Verfügung.