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„Hereditary“-Kritik: Ihr werdet euch im Kinosessel winden!

„Hereditary“-Kritik: Ihr werdet euch im Kinosessel winden!
© Splendid

Bereits im Januar schwappten erste Meldungen zum neuen Horrorfilm „Hereditary – Das Vermächtnis“ nach Deutschland hinüber. Lobeshymnen, Geschrei im Kinosessel und ein schneller Hype umwarben die Festival-Vorstellungen. Doch hält der Film auch unseren kritischen Augen stand?

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Kurzum: Ja, das tut er. Und wie. Wenn sich zwei geneigte Horror-Filmfans in den Kinosesseln winden müssen, schauen sie höchstwahrscheinlich aktuell „Hereditary – Das Vermächtnis“. Ihr wollt eine Kostprobe? Die könnt ihr haben!

Stellt euch vor, ihr schaut den Film im vollbesetzten Kino. Plötzlich ertönt hinter euch ein Kratzen. Ihr denkt zunächst es gäbe störende Kinobesucher, die zu laut mit Popcorn rascheln und möchtet diese mit einem bösen Blick ermahnen, ruhig zu sein. Dreht ihr euch jedoch erst einmal um, merkt ihr, dass alle Beteiligten gebannt auf die Leinwand starren. Kein raschelndes Popcorn, keine gezückten Handys. Niemand wagt es, nur einen Laut von sich zu geben. Man hört höchstens das Knarren des Ledersessels unter euch.

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Ihr realisiert: Das Kratzen ist Soundkulisse und Teil des Films. Ein Schauer durchfährt eure Glieder.

Wieder wendet ihr euch der Leinwand zu und starrt gebannt weiter, wie Annie (Toni Collette) dem gleichen Horror beiwohnt und ihre Kinnlade in Zeitlupe gen Fußboden klappt. Horror und Psychospielchen vor euch, hinter euch, um euch. Mucksmäuschenstill teilt ihr die Geste von Annie, wissend, dass ihr euch ohnehin nicht mehr entziehen könnt. Gespannt und gefasst auf das neue Grauen, das der Film für euch bereithalten wird.

Willkommen bei den Grahams. Das Trauma wartet schon.

Selbst hartgesottene Horrorfans ertappen sich dabei, in „Hereditary“ mindestens einen WTF-Moment zu erleben, nicht hinschauen zu wollen, oder an den entsprechenden Stellen zusammen zu zucken, obwohl sie wissen, dass das Grauen auf unsere Protagonisten buchstäblich in der Ecke auf sie wartet. Das Szenario könnte dabei simpler nicht sein: Die vierköpfige Familie Graham trauert nach dem Tod der Großmutter Ellen. Jeder einzelne geht damit verschieden um.

Mutter Annie (Toni Collette) versucht sich in ihrer Arbeit als Designerin von Puppenhäusern zu vergraben, weiß jedoch, dass ihre Trauer ein Ventil braucht. Vater Steve (Gabriel Byrne) versucht die bröckelnde Familie zusammen zu halten. Sohn Peter (Alex Wolff) schert sich vermeintlich wenig um das Ableben seiner Großmutter, während Töchterchen Charlie (Milly Shapiro) mit niemanden etwas zu tun haben möchte. Sie trifft der Tod besonders, hatte sie stets ein gutes Verhältnis zur Großmutter, weniger jedoch zum Rest der Familie.

Regisseur, Drehbuchautor und Filmdebütant Ari Aster schafft es allen Familienmitgliedern den gleichen Raum zu geben, ihre persönlichen Traumata zu entfalten. Fällt dies bei einer Figur schwerer ins Gewicht, dann wohl bei Mutter Annie. Toni Collette nimmt den Zuschauer mit auf eine Achterbahnfahrt des Wahnsinns. Sei es Albtraum, Schauder, Klarheit, Zwiespalt oder die pure Angst in ihren Augen – sie spielt jede Facette des Schreckens mit Brillanz.

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Ihre Kollegen stehen ihr jedoch in nichts nach. Gabriel Byrne zeigt ein Spiel, wie lange nicht mehr. Alex Wolff schafft es mühlelos zwischen Tragik und Langeweile seiner Figur zu wechseln, und Milly Shapiro zeigt in ihrer ersten Filmrolle überhaupt, dass mit ihr zukünftig zu rechnen ist. Allein ihr Schnalzen wird euch noch lang begleiten.

Jumpscares? Fehlanzeige! Dieser Film macht euch trotzdem fertig.

Bereits in den ersten Minuten zeichnet sich eine Tragödie ab, die nach 2 Stunden Laufzeit nachhallen wird. Das Schlimme (und zugleich Gute!): Aster schafft es mit seinem Filmdebüt euch konstant bei Laune zu halten. Der Psychoterror nimmt kein Ende. Egal ob ein Kratzen auf allen Lautsprechern, die unheimlichen Puppenhäuser von Annie, die als Fenster in ihre Seele zu interpretieren sind, unheimliche Symbole an jeder Ecke, ein Haus mit mehr Geheimnissen als Bewohnern oder einem Familiendrama, das seinesgleichen sucht.

Man merkt, mit dem aktuellen Mainstream-Horror voller Jumpscares steht Aster auf Kriegsfuß. Stattdessen verwebt er das Familientrauma in ein Netz aus übernatürlichen und mystischen Ereignissen, die sowohl an Horrorklassiker wie „Der Exorzist“ und „Rosemarys Baby“ erinnern, sich gleichfalls auf jüngere Genrebeiträge wie „We Need to Talk about Kevin“ oder „The Witch“ beruft.

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Hier sitzt jeder Schnitt, jedes Puppenhaus gruselt, jedes Knarren lässt euch im Sessel winden und jedes Crescendo des Basses mündet in einer punktgenauen Entladung. Das Ganze steuert auf eine Tragödie zu, die ihr weder kommen seht, noch euch entziehen könnt. Die eingefangenen Bilder von Kameramann Pawel Pogorzelski tun da ihr Übriges und drehen zum Finale nochmal richtig auf.

Albtraum, Erbe oder Realität?

Ari Aster schafft es in seinem Debüt den psychischen Horror, den seine Charaktere erleben, auch für den Zuschauer greifbar zu machen. Ist es ein Traum, ein Albtraum, ein böses Erbe oder die Realität, der wir beiwohnen? (Nicht umsonst bedeutet „Hereditary“ übersetzt „erblich“.) Schnitte sind bewusst so gesetzt, dass die Verzerrung zwischen der Wahrnehmung das schaurige Gefühl hoch schieben. Erinnerungen an „Der Babadook“ werden hier wach, wissend das der Horror tief in der Psyche seine Figuren verankert ist. Wenn sich die Hölle auf Erden im Anwesen der Grahams ausbreitet, könnt ihr euch nicht entziehen.

Wirkliche Kritik mag sich bei „Hereditary“ nicht einstellen, einzig der Umstand, dass das klassische Familiengefüge über den Verlauf des Filmes nicht auseinander bricht, mag verwundern. Läuft erst einmal der Abspann, schnappt ihr nach Luft. Das konstante Gefühl des zweistündigen Schauers lässt euch endlich frei. Und je nach allgemeiner Befindlichkeit zu Horrorfilmen, wollt ihr diesen Film sofort nochmal oder nie mehr schauen. Vorfreude auf weitere Horrorfilme von Ari Aster sind hier inbegriffen.

Fazit

Wenn ihr euch im Jahr 2018 nur einen Horrorfilm anseht, dann diesen! Der Film fordert euch heraus und macht euch zugleich fertig. Regiedebütant Aster vereinigt ein kluges Skript, perfekten Schnitt, eine famose Darstellerriege – allen voran Toni Collette – und schaurigen Bass, der sich nie zu sehr aufdrängt. Kurz und knapp: Euch erwartet Psychoterror der Extraklasse. Horrorfans kommen im Kinojahr 2018 an „Hereditary – Das Vermächtnis“ nicht vorbei.

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