Hi, AI von Isa Willinger eröffnet als Dokumentarfilm einen Blick in die Weiterentwicklung von künstlichen Intelligenzen und zeigt, wie viele Chancen, aber auch Probleme in der Interaktion von Mensch und Maschine bestehen können.
Chuck möchte seiner Harmony am liebsten die ganze Welt zeigen. Zumindest den Teil der Welt, der mit dem Wohnmobil zu erreichen ist. Also fahren sie los. Chuck ist glücklich. Und er fragt, ob Harmony auch glücklich sei. Sie bejaht. Weil sie genau so programmiert worden ist. Denn Harmony ist eine Künstliche Intelligenz (im Englischen „A.I.“ von „Artificial Intelligence“), ein humanoider Roboter, der wie ein Mensch aussieht, spricht und sich bewegt. Zumindest ist dies das Ziel der Forscher. Die Filmemacherin Isa Willinger erlaubt für ihren Dokumentarfilm Hi, AI dem Zuschauer einen Einblick in das, was die Forschung heute schon erreicht hat. Dabei stehen aber nicht die Forscher selbst im Fokus der Geschichte, sondern vielmehr die Menschen, die mit den humanoiden Robotern umgehen. Willinger begleitet sie und beobachtet, aus dem Off kommentiert von Ausschnitten eines Expertenpodcasts, wie die künstliche Intelligenz zu einem Teil des menschlichen Lebens wird. Dass dabei Probleme und Konflikte entstehen, ist ganz natürlich. Wie auch im Fall der Familie Sakurai. Die Großmutter bekommt von der Familie den Roboter „Pepper“ geschenkt - er soll ihr die Zeit vertreiben und mit seiner auf Kind programmierten Art wieder etwas Leben in den Alltag bringen. Doch die Kommunikation zwischen Pepper und der Großmutter gestaltet sich schwieriger als gedacht. Und auch Chuck kommt an seine Grenzen, denn er muss erkennen, dass seine Suche nach Zuneigung bei einer künstlichen Intelligenz nicht erfüllt werden kann. Willinger und ihr Team greifen selbst nicht ins Geschehen ein, fragen nicht nach, sondern lassen die Situationen, die von rührend bis irritierend alle Gefühle im Zuschauer wecken, einfach stehen. Und durch genau diese Alltagsbeobachtungen erhält man einen emotionalen Zugang und gleichzeitig einen einführenden Einblick in die Problematik des Themas. Mit Hi, AI ist Isa Willinger ein sensibler, kluger und reflektierter Film über eines der bestimmenden Themen unserer Zeit gelungen.
Jurybegründung:
Der Dokumentarfilm HI, AI weist bereits in seinem Titel auf eine Begegnung hin, auf den Versuch einer Kommunikation mit und über vermenschlichte Künstliche Intelligenz. Und so nähert sich Isa Willingers Arbeit auch mit großer Offenheit und erfrischender Neugier dem hochaktuellen Thema aus einer klaren Perspektive heraus: Wie werden sich die Beziehungen der Menschen zu den Maschinen entwickeln, welche Rolle werden Roboter künftig in unserem Leben einnehmen? Eine besondere Qualität des Films liegt bei diesem Fokus aber darin, nicht einseitig einen technischen Entwicklungsstand zu beleuchten, sondern eben auch die aktuelle Gesellschaft zu spiegeln, die diese Entwicklung überhaupt erst zulässt. In diesem Sinne stellt HI, AI sehr wohl auch die traurig anmutende Bestandsaufnahme einer Gesellschaft dar, die als Antwort auf die umgreifende Isolation und Einsamkeit schon lange nicht mehr auf eine Stärkung der menschlichen Gemeinschaft, sondern auf die Entwicklung maschineller Lösungen setzt.
Besonders im Sinne dieser Fragestellung nach therapeutischen und sozialen Potenzialen Künstlicher Intelligenz erscheint die Wahl der Protagonisten als vorzüglich - gerade auch, weil der Film es nicht darauf anlegt, durch sie eine vorgefertigte Haltung zu belegen. Chuck etwa, der als Kind schwerer sexueller und psychischer Gewalt ausgesetzt war und den wir nun dabei begleiten, wie er ausgerechnet in einer als Sex-Toy programmierten Einheit eine rein freundschaftliche Ebene sucht, sich gar ausdrücklich von ihren algorithmisch vorgegeben sexuellen Avancen abgrenzt - all das öffnet eine Menge spannender und teils hoch emotionaler Ebenen sowohl hinein in eine mögliche Zukunft als auch in unsere Gegenwart.
Mit seinen zahlreichen Protagonisten, weltumspannenden Locations, unterschiedlichen thematischen Ansätzen sowie der sehr klug eingesetzten Podcast-Ausschnitte aus Experteninterviews bietet der Film ein komplexes Gefüge aus vielfältigen Informationen und Reizen. Wie dieses Gefüge in der Montage des Films durch Stephan Krumbiegel und Olaf Voigtländer organisiert wurde, erscheint der Jury meisterhaft, weil die gefundene Erzählstruktur die Zuschauer behutsam emotional führt und ihnen beste Orientierung bietet bezüglich Locations und inhaltlicher Fragestellungen. Auch das Erzähltempo lässt an den richtigen Momenten nötigen Raum, um zu reflektieren und zu verarbeiten. Diese Montage im Zusammenspiel mit einem herausragenden und teils dramaturgisch eingesetzten Sound und einer aufwändigen, ja: spektakulären Bildsprache machen Isa Willingers Langfilmdebüt zu einem denkwürdigen und absolut empfehlenswerten Kinoerlebnis.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)