Holy Spider: Harter Thriller über eine Journalistin in Iran, die einen Prostituiertenmörder in Maschhad überführen will.
Explosiver Thriller über eine Journalistin in Iran, die einem Prostituiertenmörder in Maschhad überführen will.
Ali Abbasi hat einen neuen Film gemacht, und der ist lauter als eine Bombe. Was grundsätzlich erst einmal keine Überraschung ist, wenn man vor vier Jahren dabei war, als an der Croisette sein im Un Certain Regard gezeigter Vorgänger „Border“ wie ein Lauffeuer die Runde machte: Was für ein merkwürdiger, magischer, radikaler und konsequenter Film das doch war, die Geschichte einer ungeschlachten schwedischen Zollbeamtin, die ihre wahre Bestimmung erfährt, als sie herausfindet, dass sie tatsächlich ein Troll ist. Überraschend ist, dass „Holy Spider“ nichts gemein hat mit dem Vorgänger, außer dass die Vision des seit 20 Jahren in Skandinavien lebenden Filmemachers aus Iran unverändert radikal und konsequent ist, mehr vermutlich noch als zuvor, denn dieser filmischen Nacherzählung der grundsätzlich wahren Geschichte eines als „Spinnenmörder“ bekannt gewordenen Prostituiertenmörders in der Pilgerstätte Machhad wohnt eine Sprengkraft von nicht ganz abzusehenden Ausmaßen inne - ein mutiger, gewagter, zorniger Film, der hohe Wellen schlagen dürfte.
Wenn Abbasi seinen Film exakt so gedreht, ihn aber in einer beliebigen Kleinstadt in Texas angesiedelt hätte, würde man von einem intensiven Serienkiller-Thriller sprechen: Eine Journalistin kommt in die Stadt, wird dort misstrauisch beäugt und herablassend behandelt, lässt sich aber nicht einschüchtern und begibt sich als Köder selbst in Lebensgefahr, bis die Behörden zum Handelns gezwungen werden und den Mörder festnehmen, der während des Prozesses von der Öffentlichkeit als Held gefeiert wird: Endlich einer, der aufräumt mit dem Schmutz auf den Straßen. Klingt gut, oder? „Holy Spider“, entstanden als dänisch-deutsch-schwedisch-französische Produktion mit Sol Bondy und seiner One Two Films als Produktionspartner, spielt indes nicht in Texas, sondern dort, wo der wahre Spinnenmörder Jagd auf Frauen machte, sie in sein Zuhause lockte, wenn seine Frau und Kinder nicht da waren, und erwürgte, um sich der Leichen nachts auf einer entlegenen Straße zu entledigen. Der Film spielt in Iran (er wurde in Jordanien gedreht).
Wer in den letzten zwei Jahrzehnten mitverfolgt hat, wie die dortigen Behörden mit Filmemachern umgehen, die auch nur die leiseste Kritik an dem Land und seinem System üben, und sei sie noch so verklausuliert und verhalten geäußert, der weiß, dass „Holy Spider“ eine Bombe mit Zeitzünder ist. Jedes Bild des Films ist mit zusätzlicher Spannung aufgeladen, trägt einerseits die Handlung voran, übermittelt aber auch die Botschaft des Filmemachers, der in einem Regie-Statement sagt, er habe keinen Film über einen Serienmörder machen wollen, sondern einen Film über eine Serienmördergesellschaft. So unverblümt ist noch kein Film eines von dort stammenden Filmemachers mit Iran ins Gericht gegangen. Die ersten Minuten zeigen verzweifelte Frauen auf dem Straßenstrich, die sich und ihre Familien durchbringen müssen oder ihre Drogenabhängigkeit finanzieren. Sie zeigen Frauen, die Opium rauchen. Sie zeigen Oralverkehr. Und sie zeigen den Killer auf seinem Motorrad, wie er sich seine Opfer aussucht.
Als er die erste Leiche ablegt und davonfährt, erhebt sich die Kamera und zeigt das nächtlich erhellte Gitternetz der Stadt. Wie Spinnenweben legt sich der Titel des Films darüber: Hier hängt alles zusammen, hier sind alle schuldig, hier halten alle zusammen, hier herrscht ein brutales patriarchalisches System, das sich von innen heraus stützt. Das bekommt auch die Journalistin Rahimi zu spüren, gespielt mit entschlossener Intelligenz von Zar Amir-Ebrahimi, die von ihrer Zeitung nach Machhad geschickt wird, um dem Fall auf die Spur zu kommen, eine moderne junge Frau, die abends allein im Hotelzimmer ein Iron-Maiden-T-Shirt trägt und es nun mit Männern zu tun bekommt, die sie müde belächeln, gönnerhaft behandeln oder für jedes Entgegenkommen wie selbstverständlich Sex einfordern wollen. Fruchtbarer Boden für den Mörder, der ein unauffälliger Jedermann ist, ein Bauingenieur und liebevoller Familienvater, aber angetrieben wird von einem tiefen Hass auf Frauen, den er sich selbst als Teil seiner religiösen Pflicht schönredet. Als er gefasst wird, nach 16 Opfern und nur, weil Rahimi ihr Leben aufs Spiel setzt, wird der Mörder bejubelt: Hat er nicht Recht, müssen die Straßen nicht gesäubert werden? Und dann setzt der Film noch einmal zu einer Volte an, die einmal mehr ätzend hinterfragt, wer die Täter sind oder wer die Opfer - und die wahren Machtstrukturen aufzeigt. Der Mörder ist bestraft, aber geändert hat sich nichts.
Thomas Schultze.