Im Nebel: Drama um den Überlebenskampf eines von den Nazis als Kollaborateur stigmatisierten Bahnhofsvorstehers in Weißrussland.
Stilles Drama über die Schrecken des Krieges und wie er selbst Unschuldigen seine tödliche Logik aufzwingt.
Auch Sergei Loznitsas zweiter Cannes-Beitrag war dieses Jahr für die Goldene Palme nominiert und wurde schließlich mit dem Kritiker-Preis bedacht. Wie im Vorgänger „
Mein Glück“ seziert der ehemalige Dokumentarfilmer eine Gesellschaft am Abgrund, in der der Ehrliche keine Chance hat. Diesmal führt ihn die Abmessung der moralischen Apokalypse ins Jahr 1942, als die Wehrmacht die westlichen Gebiete Russlands besetzt hält. Nach dem gleichnamigen Roman des weißrussischen Kriegsveterans Wassil Bykau, der bereits die Vorlage zu Larissa Schepitkos erschütterndem „Aufstieg“ verfasste (Goldener Bär 1977), entstand eine Meditation über (Un)Schuld und den moralischen Bankrott in Zeiten des Krieges.
Kriegshandlungen wie in „Komm und sieh“ finden keine statt, die Front ist fern und doch stecken alle im „Fog of War“, wo Wahrheit, Recht und Gesetz verloren gehen. Eine lange Kamerasequenz - es gibt spektakulär wenig Schnitte im gesamten Film - beobachtet gleichgültig, wie drei Partisanen gehängt werden, weil sie einen Zug sabotiert haben. Nur Gleisvorsteher Sushenya (Vladimir Svirskiy aus „
4 Tage im Mai„) wird, nachdem er mit den Deutschen trotz Folter nicht kollaborieren wollte, freigelassen. Nach der Logik der Widerstandskämpfer muss er deshalb ein Verräter sein. Erst verliert der Familienvater seine Ehre, dann klopft ein Hinrichtungskommando zweier Partisanen an seine Pforte. Der herzlose Anführer Burov kennt ihn seit Kindertagen und will ihn erschießen, nachdem er ihn nachts sein eigenes Grab im Wald hat schaufeln lassen. Als Burov von Landsern verwundet wird und sein feiger Partner Voitik flieht, trägt Sushenya den Mann, der ihn gerade noch ermorden wollte, selbstlos durch die Wälder zu dessen Gefolgsleuten. Ein Opferlamm, dessen Beteuerungen niemand hören will, trägt seinen Schlächter wie eine Jesus-Figur sein Kreuz. Einer der sich in sein Schicksal fügt, weil es - trotz der weiten Wälder, in denen das mitunter sehr gemächliche Drama spielt - keinen Ausweg gibt.
Wieder bricht bei Loznitsa ein gutmütiger Protagonist durch die dünne Decke der Zivilisation, ein Prügelknabe, dessen friedfertige Einstellung ihn automatisch zum Feind aller befördert. Auf drei Personen fokussiert, deren Schicksal Rückblenden anreißen, ist „Im Nebel“ ein einziger langer Gang zum Schafott. Im Rauschen der Wälder, wo keinerlei Filmmusik erklingt, sondern nur die Laute der Natur, findet eine Odyssee, respektive ein Leidensweg statt, auf dem die Perfidie und Abgestumpftheit von selbsternannten Henkern und brutalen Kollaborateuren frappiert. So bukolisch die Landschaft anmutet, es ist Feindesland in jeder Hinsicht, wo Tugend und Menschlichkeit zum Sterben verurteilt sind. Ein minimalistisches Werk über moralische Grauzonen auf den Spuren von Michail Kalatosows „
Wenn die Kraniche ziehen„. tk.