Im Niemandsland: Das vor allem vom Hauptdarsteller-Duo vorzüglich gespielte Drama kombiniert eine Teenager-Romanze mit der Katerstimmung nach der Wende.
Das vor allem vom Hauptdarsteller-Duo vorzüglich gespielte Drama kombiniert eine Teenager-Romanze mit der Katerstimmung nach der Wende.
Am Anfang war der Freudentaumel, am Ende überwog die Katerstimmung: Der Stachel der Nachwendezeit sitzt nach wie vor tief. Die Demütigungen jener Jahre, als viele Menschen im Osten die Wiedervereinigung eher wie einen Anschluss empfanden, ist immer noch nicht aufgearbeitet. Florian Aigners Debüt könnte einen Teil dazu beitragen, zumal er seine Geschichte geschickt als tragische „Romeo und Julia“-Romanze verpackt hat: Teenager Katja (Emilie Neumeister) aus Westberlin verliebt sich im Sommer 1990 in Thorben aus dem Osten. Ihre Liebe steht jedoch unter einem schlechten Stern: Thorben lebt mit seinen Eltern in just jenem Haus, das einst Katjas Großvater gehörte. Nach dessen Ausreise in den Westen wurde es enteignet. Jetzt will sich sein Sohn, Alexander (Andreas Döhler), das Eigentum zurückholen, und natürlich wird die Auseinandersetzung schließlich auf dem Rücken der Kinder ausgetragen.
Weil Aigner (Buch und Regie) die Beziehung zwischen Katja und Thorben mit viel Empathie und großer Zuneigung erzählt, wirken die Eltern umso eindimensionaler. Gerade Beatrice betrachtet die Querelen als Klassenkampf. Das wirkt mitunter klischeehaft, betont jedoch auch die Unversöhnlichkeit, mit der beide Seiten agieren. Daraus hätte leicht ein Lehrstück mit permanent präsentem Zeigefinger werden können, aber weil sich Aigner auf die Perspektive der Jugendlichen konzentriert, ist „Im Niemandsland“ in erster Linie ein „Coming of Age“-Drama: In einem Alter, das ohnehin von Unordnung und frühem Leid geprägt ist, haben Katja und Thorben das Pech, auch noch zwischen die Fronten zu geraten. Darauf spielt auch der Titel an: Im Niemandsland zwischen den früheren Grenzen verbringen sie ihre erste gemeinsame Nacht. Diese Seeszene ist allerdings trotz des Mondes, der sich im Wasser spiegelt, kein bisschen kitschig; dafür ist die Beziehung des jungen Paars viel zu fragil. Gerade Katja hat zudem noch ganz andere Probleme, denn sie weiß, dass ihre Mutter (Lisa Hagmeister) vormittags gern zum Nachbarn (Karsten Antonio Mielke) schleicht.
Dennoch wirkt der Film nie überfrachtet; die vielen zum Teil auch widersprüchlichen Emotionen steigern bloß den Zustand von Katjas typischer Teenagerverwirrung. Thorben ergeht es ähnlich. Die Ventile, die die Jugendlichen finden, mögen ebenfalls stereotyp wirken, sind aber lebensnah: Bei Katja äußert sich der psychische Stress in Neurodermitis, bei Thorben in impulsiven Gewaltausbrüchen. Eine dieser Eruptionen führt schließlich zu einer Kurzschlusshandlung, die den Film beinahe in eine Tragödie münden lässt.
Es spricht für Aigners Drehbuch, dass er sich für seinen ersten Langfilm ein derart gutes Ensemble zusammenstellen konnte, aber die Stars sind trotzdem Emilie Neumeister und Ludwig Simon. Beide bestätigen das große Talent, das sie schon früher gezeigt haben; Neumeister neben kleineren Rollen vor allem in „Eltern mit Hindernissen“ (2020) als jugendliche Tochter, die sich angesichts einer neugeborenen kleinen Schwester überflüssig fühlt. Ludwig Simon wiederum, Sohn von Maria Simon und Devid Striesow, war die perfekte Wahl für den abenteuerlustigen Prinzen in „Schneewittchen und der Zauber der Zwerge“ (2019). Die ungleich erfahreneren Mitwirkenden sind ohnehin sehenswert. Gerade Andreas Döhler, stets eine gute Wahl, wenn eine Figur von Düsternis oder inneren Dämonen gepeinigt wird (wie zuletzt als depressiver Vater in dem ZDF-Jugendrama „Das Versprechen“), verkörpert Alexanders Kampf um Wiedergutmachung mit einem an Besessenheit grenzenden Eifer. Die Bildgestaltung ist zwar im Gegensatz zur sehr präsenten Musik (Florian Gwinner) nicht weiter ungewöhnlich, aber dennoch fällt „Im Niemandsland“ optisch aus dem Rahmen: Mit Hilfe von „Tagesschau“-Ausschnitten verknüpft Aigner die Ereignisse in Kleinmachnow mit den verschiedenen Stationen des Vereinigungsprozesses. Damit sich die beiden Bildebenen ergänzen, hat er den Film im Format 4:3 gedreht.
Tilmann P. Gangloff.