FBW-Pressetext:
Benjamin will es zunächst nicht wahrhaben, als ihm der Onkologe mitteilt, dass er Krebs im Endstadium hat. Doch nach und nach akzeptiert er, dass es bald an der Zeit ist, Abschied zu nehmen. In Frieden und in Liebe. Emmanuelle Bercot inszeniert die Geschichte eines Abschieds vom Leben mit großer Sensibilität und Nähe. Ein Film, der auch aufgrund des kraftvollen Spiels von Deneuve und Magimel noch lange nachwirkt.
Schon das erste Gespräch Benjamins mit seinem Arzt und seiner Mutter macht dem Publikum bewusst, dass dieser Film sein Thema ernst nimmt und ihm mit Ehrlichkeit und Empathie für das erzählte Schicksal begegnet. Fern von jeder Oberflächlichkeit, Sentimentalität oder Pseudo-Dramatik werden die Protagonist*innen als vielschichtige Figuren dargestellt, mit all den Ecken, Kanten, Besonderheiten und auch Fehlern, die nicht einfach verschwinden, nur weil eine solche Diagnose das Leben durchdringt. Und auch wenn man spürt, dass Benjamin in seinem Leben viele Fehlentscheidungen getroffen hat und kein großer Sympathieträger ist, so kommt man ihm doch unglaublich nah, was auch an der fantastischen Kamera von Yves Capé liegt, die um Benjamin kreist und seine Emotionen und Gedanken in ruhige Bilder packt. Schauspielerisch ist der Film eine Offenbarung, dabei schlüpfen Catherine Deneuve und Benoît Magimel förmlich in ihre Rollen als Mutter und Sohn. In jedem Blick von Deneuve sieht man die Liebe und die Sorge einer Mutter, die alles tun würde, um das Schicksal abzuwenden und doch am Ende nur Abschied nehmen kann. Und Magimel verkörpert glaubhaft einen Sterbenden, der lernen muss, dass er selbst über die letzte Etappe im Leben keine Kontrolle mehr hat. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Figur des Arztes, in dessen Rolle der echte Onkologe Gabriel A. Sara schlüpft und der mit Wahrhaftigkeit und Wärme seine Berufung offenlegt. Auch durch seine Präsenz werden die dokumentarisch anmutenden Krankenhausszenen, in denen sich das Personal über Erfahrungen mit Sterbenden austauscht, mit mutmachender Hoffnung erfüllt. Und so liegt über dem Film, der ein schweres Thema behandelt, auch eine inspirierende Leichtigkeit, die dafür sorgt, dass IN LIEBE LASSEN nicht nur ein Film über den Tod, sondern auch ein wunderschöner Film über die Liebe zum Leben ist.
FBW-Jury-Begründung:
Wie begleitet man jemanden, der erfahren hat, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat? Wie kann so etwas überhaupt gehen? Immer wieder beschäftigt sich das Kino mit dieser, großen und letzten Frage des menschlichen Seins und Vergehens. Und oft genug fühlt man sich beim Anschauen von Emmanuel Bercots IN LIEBE LASSEN an Werke wie Andreas Dresens HALT AUF FREIER STRECKE oder Francois Ozons DIE ZEIT, DIE BLEIBT erinnert. Wobei Bercots Behandlung des Themas dennoch genug Eigenständigkeit besitzt, um mühelos gegen die genannten großen Vorbilder zu bestehen.
Im Mittelpunkt des Films steht der Schauspieler Benjamin (Benoît Magimel), der gemeinsam mit seiner Mutter (Catherine Deneuve) die Diagnose mitgeteilt bekommt, dass ihm nur noch wenige Monate zu leben bleiben. Während er das sichere Todesurteil nicht wahrhaben will, bricht seine Mutter in hektische Aktivität aus und klammert sich an neue Therapieformen, die aber samt und sonders keine Wirkung zeigen. Erst mit Hilfe des erfahrenen Onkologen Dr. Eddé gelingt es Benjamin, die Diagnose zu akzeptieren und in Ruhe gehen zu können.
Mit IN LIEBE LASSEN ist Emmanuel Bercot ein überaus sehenswerter und bewegender Film gelungen, der vom ersten Moment an fesselt und das Publikum mitnimmt auf einer Reise in den sicheren Tod. Dabei gelingt es dem Film, die feine Balance zwischen Empathie und Anteilnahme einerseits und Distanz andererseits zu wahren, die beinahe jede Form der Rührseligkeit gekonnt umgeht und dennoch Anteil nehmen lässt.
Der Film konzentriert sich fast ausschließlich auf fahl wirkende, überwiegend in Grautönen gehaltene Innenräume, zeigt das Arztzimmer, das Innere eines Autos, das Krankenzimmer, den Aufenthaltsraum in der Klinik und den Probenraum des Theaters, in dem Benjamin mit einer Gruppe von Darsteller*innen Shakespeares „Sommernachtstraum“ einübt - ein Draußen gibt es fast nie. Was letztlich sehr konsequent gedacht ist, weil es auch aus der Krankheit kein Entrinnen, kein „Außerhalb“ mehr geben kann.
Dennoch gerät der Film durch seine freiwillige Beschränkung und seine Konzentration auf lange Dialogpassagen niemals langweilig oder gar geschwätzig, sondern bleibt auch bei vergleichsweise ruhigen Passagen sehr dicht und versteht es, mit kleinen Gesten und schönen Details immer wieder neue Assoziationsräume zu eröffnen und Stimmungen anzudeuten, ohne sie je ausbuchstabieren zu müssen.
Neben einem grandiosen Benoît Magimel in der Hauptrolle glänzen in diesem Film Cécile de France als Ärztin, Catherine Deneuve als Mutter des Todkranken und vor allem Dr. Eddé, der auch im wahren Leben als Onkologe arbeitet und der immer wieder für Einblicke in das Leben auf einer Palliativstation sorgt. So gehören die Supervisionssitzungen, in denen die Ärzte und das Pflegepersonal sich austauschen und am Ende gemeinsam singen, mit zu den schönsten und berührendsten Momente in einem an emotionalen Höhepunkten nicht gerade armen Films, dem man bei aller Schwere des Themas ein möglichst großes Publikum wünscht - gerade weil dieses Thema über kurz oder lang wirklich jede/n einmal betrifft.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)