Das packend inszenierte Drama von Damian John Harper erzählt authentisch-mitreißend die Geschichte eines jungen Mannes, der nach dem Tod seiner Schwester zu seiner Familie nach New Mexico zurückkehrt und sich mit einem Strudel von Gewalt, Hass und Rache konfrontiert sieht.
Zur Beerdigung konnte Gabriel nicht kommen. Zu schwer wiegt der Verlust für den jungen Irak-Versehrten, der noch immer nicht begreifen kann, wieso seine Schwester sterben musste. Um die zwei kleinen Kinder, die nun ohne Mutter aufwachsen müssen, kümmert sich die Großmutter ebenso liebevoll wie um Gabriels kleinen Bruder Ishmael und ihren Mann Laurence, der jedoch für alle eher eine Belastung als eine Hilfe ist, vor allem, wenn er getrunken hat und die Hand gegen seine Frau hebt. Dennoch entscheidet sich Gabriel dazu, nach Hause zurückzukehren. Denn er spürt nicht nur die Verantwortung, die er für seine Familie als Mann im Haus übernehmen muss. Ihn beschleicht zusätzlich das Gefühl, sein eigener Großvater könnte etwas mit dem Tod seiner Schwester zu tun haben. Und der Wunsch nach Vergeltung frisst sich immer stärker in Gabriels Seele hinein. Von der ersten Minute an hat die Handkamera in Damian John Harpers IN THE MIDDLE OF THE RIVER ihren Protagonisten im Fokus. Mit zackigen Bewegungen und atemloser Schnelligkeit verfolgt sie Gabriel, der von Eric Hunter mit beeindruckender körperlicher Präsenz dargestellt wird. Gabriel ist ein Getriebener, ein ehemaliger Soldat, der als Kriegsversehrter in der Familie ein neues Schlachtfeld findet. Viele Darsteller in Harpers zweitem Langspielfilm sind Laien, was die hohe Authentizität des Milieus und der Figuren noch unterstützt. Der Film zeigt seine Umgebung nicht, er bewegt sich in ihr und nimmt die Stimmung der Landschaft und der Menschen in New Mexico ganz organisch auf. Was Harper gelingt, ist neben großer atmosphärischer Dichte auch eine hochaktuelle Bestandsaufnahme der amerikanischen Befindlichkeit. IN THE MIDDLE OF THE RIVER behandelt die problematische Situation der indianischen Reservatsbewohner ebenso wie die von Banden- und Drogenkriminalität bestimmte „Normalität“, in der sich die Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, zurechtfinden müssen. Neben diesem gesellschaftskritischen Überbau ist Harpers Film aber auch spannend erzähltes Kino. Eine Geschichte über Rache und Vergeltung, Familie und Vergebung. Realistisch und packend erzählt und doch immer auch aufgeladen von den Mythen der indigenen Kultur.
Jurybegründung:
Dieser Film stößt das Publikum abrupt in sein Milieu und seine Geschichte hinein. In einer fast zehn Minuten langen, ungeschnittenen Einstellung, aufgenommen mit einer nervös den Protagonisten folgenden Handkamera, erleben wir den Protagonisten Gabriel bei einem Wutanfall, der aufgrund einer fast schon selbstzerstörerischen Gewalt beängstigend ist. Dass Gabriel Soldat im Irak war und dadurch schwer traumatisiert ist, und dass ihn der Tod seiner Schwester so aus der Bahn wirft, wird erst später in den Dialogen deutlich, aber dass er schwer gestört und eine Gefahr für sich und für andere ist, merkt man von den ersten Momenten des Films an. Damian John Harper gelingt es, die Intensität dieses Beginns auch für den Rest des Films aufrecht zu erhalten. Harper ist studierter Ethnologe, und als Regisseur weiß er deshalb genau, wohin er mit der Kamera schauen muss, um das Leben seiner Protagonisten, die in New Mexico in prekären Verhältnissen leben, authentisch auf der Leinwand darzustellen. Um diesen semi-dokumentarischen Stil auch in der Inszenierung zu betonen, arbeitet er mit Laienschauspielern, die zwar manchmal spürbar mit ihren Dialogsätzen zu kämpfen haben, dafür aber körperlich völlig identisch mit ihrer Rollen zu sein scheinen. Auch die Geschichten, die Harper erzählt, und in denen es um Gewalt in der Familie, Vergewaltigung, Perspektivlosigkeit, Alkoholismus, Drogenkriminalität und einen allgegenwärtigen Rassismus geht, sind eine Verdichtung seiner Forschungen. Harper zeigt ein deprimierendes Bild vom Zustand des Landes und wenn einmal der Slogan von Donald Trump, „Make America great again“ geschrien wird, wirkt dies wie eine ironische Bankrotterklärung. Aus diesen Zuständen scheint es keinen Weg der Besserung zu geben, und Harper macht dies gerade dadurch spürbar, dass er, der sonst so ungeschönt realistisch erzählt, am Schluss zu fabulieren beginnt und alles in ein utopisches Happy End münden lässt, das für jeden Zuschauer als Wunschfantasie erkennbar ist.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)