Der neue Film von David Lynch! Das sagt viel, wenn nicht schon alles. Die Tagline zu Inland Empire, Eine Frau in Schwierigkeiten, erweist sich da als krasse Untertreibung. Denn nicht nur, dass Nikki (oder wer die Figur wann und wo auch immer sein mag) so manchem Unbill gegenübersteht. Sie versinkt völlig in Auflösung oder aber Wahnsinn und nicht nur sie. Auch der Zuschauer verliert sich in dem Strudel aus Zeiten, Räumen und Erzählebenen, die nicht nur durcheinanderwirbeln und ineinanderstürzen sondern, wie die Dialoge und die Frage nach der Ernsthaftigkeit des Moments, bald völlig zur Disposition stehen.
Manchmal fragt man sich, ob man ins Absurde Theater geraten ist, wenn wirre oder widerliche Dialoge mit der typisch getragenen Stimme zu bizarren Monologen werden oder man als Zuschauer irre zu werden droht, bei dem Versuch, die einzelnen Elemente, Figuren und Gegenstände zu einem sinnhaften Ganzen zusammenzufügen: Menschen in Hasenverkleidung treten als Sitcom im Fernsehen auf, fremde Polen reden mysteriösen Zeugs und Hollywood verschmilzt mit Osteuropa.
Lynch, der u.a. mit Eraserhead Blue Velvet und Lost Highway anspruchsvolle, besonders aber visuell gradiose Irrgärten und Höllenpfuhle des Unterbewussten zu zaubern verstand, schöpft auch hier aus dem Vollen. Aber bei allem Rausch, den er mit Inland Empire veranstaltet, drängt sich die Vermutung auf, dass diesmal nicht mehr dahinter lauert als so oder so - ein dicker Kopf.
Das Problem ist nicht nur, dass die Geisterbahnfahrt diesmal geschlagene drei Stunden dauert, sondern dass nach den ersten vierzig Minuten die Erdung mit der Geschichte vom Film im Film verloren geht. Man mag die immer wiederkehrende und sich selbst erzählende Story von einer Frau, die sich verkauft und verliert, darin erkennen ein ewiges Märchen von Ehebruch, Eifersucht und gewalttätigen Ehemännern. Doch während in Lost Highway und Mullholland Drive immer genug blieb, um einen Rahmen zu bieten (und sei es auch nur der des Genres), deliriert Inland Empire bald völlig vor sich hin, so dass irgendwann immerzu alles passieren kann und tatsächlich passiert.
Vielleicht fesselt der Film aber auch nur deswegen so wenig, weil man bei Lynch einfach schon zuviel von dem, was da über die Leinwand irrlichtert, gesehen hat. Inhaltlich und formal (wenn man das trennen kann) kommt kaum etwas neues: die Frau in Bedrängnis und als Geheimnis, irre Fratzen, das verkommene L.A., symbolische Gegenstände (diesmal u.a. eine Lampe und ein Schraubenzieher), Schattenspiele, Zeitschleifen, dunkle Gänge, die hoch und runter geschlichen werden etc.
Natürlich hat der Meister auch neues zu bieten. Der Schmuddellook Osteuropas ist eine originelle Erweiterung des Spielfelds, und es überrascht, wie gut sich dieses Ambiente in den surrealen Nonsens Lynchs einfügt. Auch dass sich Lynch diesmal noch mehr der Traumfabrik und fabrikation annimmt, ist originell. Aber hier wie da ist das Problem, dass er diese Ansätze, indem er es schnell zu bunt treibt, über den Haufen rennt.
Vielleicht zeigen sich Vor- und Nachteile von Inland Empire in der ästhetischen Entscheidung, mit der Lynch am meisten Aufmerksamkeit erregt hat. Er hat den Film digital gedreht und hernach erklärte, nie wieder anders filmen zu wollen. Und tatsächlich sind so Momente eingefangen, die den Video-Look brauchen, die intensiver und authentischer wirken und einen ganz neuen und eigenen Zugang bedeuten. Zugleich hat Lynch jedoch nicht ganz auf vieles der Bildmalerei, die ihn bisher auszeichnete, verzichten wollen: Ausgeklügelte Einstellungen und Dekors, perfekt in Szene gesetzte Darsteller.
Entsprechend spielt sich auch die Lynch-Aktrice Laura Dern (Blue Velvet, Wild at Heart), die den Film als einzige(s) zusammenhält, die Seele aus dem Leib. Sie zeigt sich als echtes Ereignis. Aber auch sie wirkt in ihrer Leistung merkwürdig fragmentiert und geht in den Ritzen und Spalten von Inland Empire so verloren, wie es bei einer Best-Of-Revue, die Neues schon probiert und altes noch feiert, nur sein kann.
Immerhin zwinkert Lynch selbst zum Schluss ironisch, wenn er zum fidelen Abspann-Reigen u.a. Laura Harring (aus Mulholland Drive) und einen Holz sägenden Mann im Baumfällerhemd (man denke an Twin Peaks) in Szene setzt. Noch ein Mystery Man und ein wenig Eraserhead und Elefantenmensch und man käme mehr mit einem Lächeln über den Abgesang Lynchs auf sich selbst, statt mit einem Achselzucken aus diesem Kino-Traum.
Fazit: Die Geschichte einer Schauspielerin, die in Zeit, Raum und Fiktionsebenen verloren geht, ist ein echter Film von David Lynch, wobei der 3-Stunden-Trip (trotz der überragenden Laura Dern und der neuen Digital-Ästhetik) v. a. wegen der steten Wiederkehr bekannter Lynchismen in Form und Inhalt nicht mehr wirklich fesseln will.