Abe hat die Lebenslust verloren. Als Philosophieprofessor grübelt er über den Sinn des Lebens. Doch dieser will ihm einfach nicht mehr einfallen. Als er eine Professur an einer Uni an der Ostküste antritt, verändert sich alles. In der Studentin Jill, die ihn bedingungslos verehrt, findet er eine Muse und verwandte Seele, in der Kollegin Rita eine neue Liebelei. Und dennoch fühlt er sich immer noch unerfüllt. Dies ändert sich, als Abe ein Gespräch einer Frau über einen skrupellosen Richter mitanhört. Abe fasst den Entschluss, den Richter zu töten. Moralische Zweifel hin oder her: Wenn ein Mord es schafft, Abes Lebensgeister wieder zu erwecken, kann doch daran nicht so viel verkehrt sein. Oder etwa doch? Geschickt spielt Woody Allen in seinem 46. Spielfilm mit moralischen und gesellschaftlichen Wertevorstellungen. Ein Hauch Philosophie schwebt über der gesamten verträumten Ostküsten-Szenerie, wo Vorstadthäuser mit weißen Zäunen die Kulisse dominieren, in denen unschuldig dreinschauende Menschen mit seelischen Abgründen leben. Mit seinem Hauptdarsteller Joaquin Phoenix gelingt Allen der große Wurf. Phoenix als Abe ist der Erzähler, mit dem auch der Zuschauer in die Geschichte einsteigt. Nach und nach aber gerät auch Jills Sicht der Dinge in den Vordergrund. Emma Stone spielt Jill charmant, liebenswürdig und rechtschaffen. Am Ende ist sie es, die versucht, Abe ins Gewissen zu reden. Wie Abe wiederrum damit umgeht, ist einer der wunderbar ironischen Twists, die sich der Film ganz mühelos erlaubt. Wie immer in Allens Filmen ist die Musik eine luftig-leichte Klangwolke aus Smooth Jazz, Swing und alten Klassikern, die der Geschichte, die im Heute spielt, eine Art verträumte Zeitlosigkeit verleihen. IRRATIONAL MAN von Woody Allen ist gelungene Melange aus Charme, Thrill und Drama. Inspiriert und inspirierend.
Jurybegründung:
In seinem mittlerweile 46. Film erzählt der Regie-Altmeister Woody Allen gewohnt beiläufig und ironisch vom Drama eines Mannes, der einen nahezu perfekten Mord plant und ausführt und damit eine Mechanik des Schicksals in Gang setzt, die er nicht beherrschen kann.
In mancherlei Hinsicht erinnert Irrational Man an Woody Allens Meisterwerk MATCH POINT - wenngleich mit dem Unterschied, dass er seine Geschichte um den abgehalfterten Philosophie-Professor Abe von vornherein als Komödie und eben nicht als Tragödie angelegt hat. Dessen Auftauchen an einem College irgendwo an der Ostküste versetzt schon zuvor die abgeschlossene Welt in Vorfreude und Erregung. Schließlich gilt der Mann als gleichermaßen genial wie labil, eine Mischung, die vor allem auf die Damenwelt des Colleges eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Und dann die vielen Gerüchte über sein Vorleben - von der Frau wegen des besten Freundes verlassen, ein anderer Freund fiel im Irak einer Landmine zum Opfer - oder war es doch eine Enthauptung? Sicher ist nur eines: Abe hat ein schweres Päckchen zu tragen - und gerade das erhöht seinen Reiz auf die Frauen noch: Schließlich wollen sie ihn gleichermaßen retten wie selbst von ihm gerettet werden aus dem sicheren und langweiligen Dasein, das sie führen. Die eine jüngere gibt für ihn ihrem anständigen Freund den Laufpass (oder nimmt dies zumindest billigend in Kauf, als der ihre Kleinmädchenschwärmerei nicht mehr aushält, die andere ältere würde am liebsten mit diesem großen verstörten Jungen nach Europa fliehen.
Mit viel Lust an der Übertreibung und Zuspitzung nimmt Allen das Oberschicht-Milieu Neuenglands aufs Korn. Immer wieder gelingen ihm schöne kleine Beobachtungen des universitären Alltags und der gutbürgerlichen vermeintlichen Elite der Ostküste, in deren geordneter Welt sich Abe ausnimmt wie ein verführerischer Dämon.
Weil jener Mephistopheles wider Willen aber selbst dringend nach einem Sinn in seinem Leben sucht, gerät er auf Abwege: Eine zufällige Begegnung in einem Diner versetzt ihn in eine Hybris, die ihn aus seiner schweren Depression gleichsam erweckt: Wenn er einen missliebigen und anscheinend korrupten Richter um die Ecke bringt, dann geschieht dies in der plötzlichen Erkenntnis, doch etwas in der Welt bewegen zu können.
Das Problem an dieser Geschichte, die beinahe schon an den ironischen Grundton britischer „Cozies“ wie INSPECTOR BARNABY erinnert: Die Figurenzeichnungen, die Woody Allen hier entwirft, sind wenig glaubhaft, die Konflikte wirken oft nur behauptet und den Verletzungen seines Protagonisten bringt der Filmemacher keinerlei Interesse entgegen. Deshalb betrachtet man den Film zwar bestenfalls amüsiert (trotz erheblicher Längen), aber niemals wirklich involviert. Eine leichte, möglicherweise zu leichte Fingerübung, die aber dank Allens subtilem Witz durchaus unterhält.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)