Hätte man „John Wick“ so gedreht, wie es zunächst vorgesehen war, wäre aus dem Actionfilm ein weiterer Geriaction-Beitrag geworden. Dann kam Keanu Reeves.
Stellt euch vor: Es ist wieder September 2014, ihr schaut wie immer auf kino.de, was es an Neuigkeiten aus der Filmbranche gibt und erspäht den Trailer zu einem kommenden Actionfilm mit dem Titel „John Wick“. Ihr klickt rein und seht einen obercoolen 1969er Ford Mustang Boss 429. Dazu ertönt „Have Love Will Travel“ von The Sonics. Der Mustang jagt über einen Flugplatz, kommt zu stehen und am Steuer seht ihr – Clint Eastwood.
Ihr habt richtig gelesen: Clint Eastwood. Wahlweise auch Harrison Ford, wie ihr wollt. Hauptsache ist aber, dass der Protagonist ursprünglich graues Haar und mehr Falten als ein Shar-Pei-Welpe hatte. Denn genau diese beiden Hollywood-Legenden waren offenbar das Vorbild für den Protagonisten der Actionreihe, die Drehbuchautor Derek Kolstad ersann. Die Tatsache, dass die adrenalingeschwängerte Kugelhölle losbricht, nachdem der einstige Top-Killer aus dem Ruhestand zurückkehrt, um Rache zu üben, ergibt vor diesem Hintergrund noch weitaus mehr Sinn.
Und zeitlich würde das ebenso passen, denn Anfang der 2010er-Jahre feierte das Geriaction-Subgenre, in dem alte Männer jüngeren Männern und Frauen mit jeder Menge Wut im Bauch noch weitaus mehr Blei in eben diesen pumpen, ein erstaunliches Comeback. Angefeuert von Liam Neeson und der „Taken“-Reihe wollten auch andere wie Denzel Washington („The Equalizer“), Kevin Costner („3 Days to Kill“), Sean Penn („The Gunman“), Pierce Brosnan („The November Man“) und Co. kräftig mitmischen. All diese Filme sind übrigens im Abstand weniger Monate zwischen 2014 und 2015 herausgekommen. „John Wick“ mit einem Darsteller der Marke Clint Eastwood oder Harrison Ford wäre also unter Umständen in diesem Wust untergegangen.
Erst als Keanu Reeves an Bord kam, wurde das angepasst – und zwar durch ihn selbst, wie die Autoren Edward Gross und Mark A. Altman im neuen Buch „They Shouldn’t Have Killed His Dog: The Complete Uncensored Ass-Kicking Oral History of John Wick, Gun Fu, and the New Age of Action“ verraten. So erinnert sich Produzent Basil Iwanyk darin:
„Einer meiner besten Freunde ist Charlie Ferraro von UTA (United Talent Agency, Anm. d. Red.), der mir ein Drehbuch von Derek Kolstad mit dem Titel ‚Scorn‘ zuschickte. Die Hauptrolle war ein 75-jähriger Mann, 25 Jahre nach seiner Pensionierung. Es war ein Spaß, sich Clint Eastwood vorzustellen, wie er Ärsche kickte. Ich dachte: ‚Okay, es gibt wahrscheinlich einen oder zwei Namen, mit denen man das realisieren könnte: Clint Eastwood, Harrison Ford. Abgesehen davon wüsste ich nicht, wie man diesen Film hinbekommen kann.‘“
Am Ende wurde es weder Clint Eastwood noch Harrison Ford, sondern Keanu Reeves. Und mit ihm wurde daraus die aktuell beliebteste Actionreihe überhaupt. Alle Infos zu „John Wick: Kapitel 4“ erhaltet ihr aus unserem Video.
„John Wick“: Keanu Reeves machte aus dem Rentner einen jungen Mann
Aber gebt es ruhig zu, wäre es wieder 2014 und ihr hättet den Trailer zum kommenden Actionfilm „John Wick“ mit Clint Eastwood oder Harrison Ford gesehen, ihr hättet euch nicht gedacht, „Oh nein, wieso nicht Keanu Reeves?“. Denn der Hollywoodstar hatte zu dem Zeitpunkt ein Karrieretief nach den Flops „Man of Tai Chi“ und „47 Ronin“. Davor war „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ von 2008 der letzte Film mit ihm, der etwas größere Beachtung fand. Für viele war Reeves da jedoch bereits vom Radar verschwunden.
Die Rolle des Superkillers John Wick verhalf dem heute 57-Jährigen zu einem zweiten Karriere-Frühling. Wieder einmal bewies er sein Gespür für Filmprojekte, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen werden. Und er drückte den „John Wick“-Filmen seinen ganz persönlichen Stempel auf, wie sich Kolstad erinnert:
„Ich schaue in sein Büro und sehe, dass sich 300 Drehbücher auf seinem Schreibtisch stapeln, weil er alles liest […]. Er liest sie alle. Ich kann mir vorstellen, dass er an einem Freitag in 90 Minuten etwas durchgelesen hat und sich denkt: ‚Das will ich machen.‘ In diesem Moment, noch bevor ich ihn traf und es wirklich Klick machte, dachte ich: ‚Ja, das will ich auch machen.‘ Das erste, was Keanu zu mir sagte, war: ‚Okay, Derek. Ich werde ihn mit 35 Jahren spielen.‘ Und ich sagte: ‚Gut‘.“
Apropos 2010er-Jahre: Wie gut kennt ihr euch mit den anderen Actionwerken dieses Jahrzehnts aus? Testet euch: