Man kann sich die Familie nicht aussuchen, in die man geboren wird. Als Joy ein kleines Mädchen war, hatte sie große Pläne. Sie wollte Dinge erfinden und damit die Welt verändern. Doch dann lassen sich die Eltern scheiden, die Mutter verkriecht sich in ihr Schlafzimmer, wo sie den lieben langen Tag Seifenoper schaut, der Vater zieht von einer Liebelei zur nächsten und Joy selbst ist bald gezwungen, die Verantwortung für alle zu übernehmen. Ihre eigene Ehe endet mit zwei Kindern und der Scheidung, was den Ex-Mann nicht davon abhält, noch immer in Joys Keller zu hausen. Als ihr eines Tages dann jedoch eine zündende Idee kommt, glaubt sie, jetzt sei endlich ihr Tag gekommen. Wild entschlossen entwickelt sie einen Businessplan und beginnt, ihre Erfindung zu vermarkten. Doch das Leben verläuft nun einmal nicht wie eine Seifenoper. Und auf Joy warten noch einige Klippen, die sie auf dem Weg in das verdiente Glück umschiffen muss. David O. Russells neuer Film JOY - ALLES AUSSER GEWÖHNLICH startet mit einer wundervollen Persiflage auf eine typisch amerikanische Seifenoper. Und auch das Familienszenario, das er entwirft, wirkt wie nach einem solchen Muster erdacht. Neurosen, lautstarke Auseinandersetzungen und ein ständiges Hin und Her sind der großartige Auftakt zur Reise der Filmheldin, die wie ein Phoenix aus der Asche steigt und sich das Leben erarbeitet, was ihr zusteht. Keine andere Schauspielerin könnte diese Rolle, die auf der wahren Geschichte der Unternehmerin Joy Mangano basiert, so wunderbar ausfüllen wie Jennifer Lawrence. Das nette Mädchen von nebenan, das sich Stück für Stück in eine Kämpferin und Business-Frau verwandelt, spielt Lawrence so authentisch und lebensnah, dass man ihr als Zuschauer jede Sekunde glaubt und sie auf ihrem Weg begleitet. Doch auch die Nebenrollen glänzen: Robert de Niro als unfähiger Vater, der seiner Tochter den Respekt verwehrt, den sie sich so sehr wünscht; Virginia Madsen als schrullige Mutter, die sich vor dem Leben versteckt, oder auch Edgar Ramirez als ein Luftikus von Ex-Mann, der trotz allem immer zu Joy hält und sie und die Kinder nicht verlassen möchte. Und natürlich Isabella Rossellini als Investorin und Freundin des Vaters. Sie alle tragen zu einem bunten Figurenpuzzle bei, das um Joy kreist und gleichzeitig von ihr zusammengehalten wird. David O. Russell gelingt es, die Figuren perfekt zu führen, was auch an seinem Drehbuch liegt, das in dem für ihn so typisch lakonischen Stil perfekte Dialoge liefert. Der Soundtrack ist genial gewählt, Klassiker wie „Somethin‘ stupid“ und verschiedene Hits von 70 bis 90 reihen sich aneinander und geben dem Film seine Leichtigkeit, die die oftmals dramatische Entwicklung der Geschichte geschickt auffängt. Auch kehrt der Film immer wieder als dramaturgischer Kniff zum Leitthema der Seifenoper zurück und gestaltet Joys Tag- und Albträume ganz in diesem herrlich überzeichneten Stil. Sehr gekonnt verbindet JOY - ALLES AUSSER GEWÖHNLICH das Tragische mit dem Komischen. Ein unterhaltsam ergreifender Film.
Jurybegründung:
Zum dritten Mal nach SILVER LININGS (2012) und AMERICAN HUSTLE (2013) vereint Autor und Regisseur David O. Russell die drei Hollywood-Superstars Robert de Niro, Bradley Cooper und Jennifer Lawrence auf der Leinwand. Und es gibt eine weitere Verbindung: JOY fußt wie AMERICAN HUSTLE auf einer wahren Geschichte und die skurrile US-Vorstadtwelt aus SILVER LININGS feiert hier fröhliche Urstände.
Nachdem sich ihre Eltern vor 17 Jahren getrennt hatten, wohnt Joy (Jennifer Lawrence) mit ihrer Mutter Terry (Virginia Madsen), die den ganzen Tag im Bett liegt und ihre Daily-Soap schaut, ihrer fitten Großmutter Mimi (Diane Ladd) und ihren beiden Kindern in einer typisch amerikanischen Vorort-Siedlung. Im Keller haust zudem noch Joys Ex Tony (Edgar Ramirez), der immer noch von einer Sänger-Karriere träumt, aber nichts geregelt bekommt. Als dann auch noch Daddy Rudy (Robert DeNiro) von seiner genervten Lebensabschnitts-Partnerin an der Haustür abgegeben wird und zu Tony in den Keller zieht, ist die Chaos-Familie komplett. Aber Joy, die sich schon seit ihrer Kindheit mit Erfindungen beschäftigt hatte, möchte aus ihrem Trott als Boden-Stewardess aussteigen und überredet Daddys neue Freundin Trudy (Isabella Rosselini), in ihren sich selbst auswringenden Wischmopp zu investieren. Neil Walker (Bradley Cooper), der Chef eines Shopping-TV-Senders, gibt ihr eine Chance, und nach einigen Rückschlägen im Dickicht unlauteren Geschäftsgebarens und krimineller Partner gelingt es ihr schließlich, ein eigenes Haushaltswaren-Imperium aufzubauen.
Was sich wie eine typische amerikanische Erfolgsstory a la „von der biederen Hausfrau zur glamourösen Millionärin“ anhört, entpuppt sich schon bald mit dem in schwarz-weiss gedrehten Epilog einer nachgestellten Seifen-Oper als bittere Satire auf den „American way of live“, den Oma Mimi lakonisch aus dem Off kommentiert. Oma scheint zudem die einzig „Normale“ in dieser Familie zu sein. Wie bei Tony sind auch bei Rudy die Pickel weg, aber die Pubertät ist geblieben. Trudy möchte damit ihrer matronenhaften Bräsigkeit nicht nachstehen. Und selbst Joy ist immer ein wenig „over the top“, verliert aber nie ganz jene Bodenhaftung, die Neil von Anfang an ausstrahlt. Mit der Einführung seiner Figur kippt der Film aus seiner skurrilen Schräglage in die Gerade und wird zu einer gar nicht mehr ironischen Hymne auf Powerfrauen und Durchsetzungskraft - oder ist da doch noch ein doppelter Boden?
Auf jeden Fall nimmt einen das überbordend aufspielende Ensemble, allen voran Jennifer Lawrence, die sich längst zu einer reifen Schauspielerin gewandelt hat, sofort mit auf diese Retro-Reise in die 1980er und 1990er Jahre. Auch Robert de Niro zeigt sich wieder auf der Höhe seines komödiantischen Könnens. Hinzu kommt ein die damalige Zeit kongenial einfangendes Production-Design und ein stimmungsvoller Soundtrack aus komponierter und gesampelter (u.a. Frank Sinatra) Musik, die die kleinen dramaturgischen Schwächen des Drehbuchs verzeihlich erscheinen lassen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)