Oskar Roehler macht gerne überdrehte, verdrehte Filme, die irgendwie anecken kein Wunder, er hat Anfang der 90er angefangen in der Schlingensief-Familie. Problematisch wirds bei Roehler, wenn er versucht, in den Mainstream zu gelangen das war bei den weichgespülten Elementarteilchen so, als er mit Bernd Eichinger zusammengearbeitet hat; und nun ist es genauso, bei Jud Süß Film ohne Gewissen, bei dem er ein Drehbuch Klaus Richter verfilmte, der eben eher gediegene Filmkost serviert, und der mit den Comedian Harmonists einen Film mit ähnlicher Richtung wie Roehlers fiktives Jud Süß-Making of verfasst hat.
Wobei: Eigentlich geht es weniger um den berüchtigten NS-Propagandafilm Jud Süß von Veit Harlan als um dessen Hauptdarsteller Ferdinand Marian. Und ganz eigentlich ist der heimliche Hauptdarsteller Moritz Bleibtreu als Joseph Goebbels, eine an sich undankbare Rolle, die seit Silvester Groths Darstellungen in Dani Levis Mein Führer und Tarantinos Inglourious Basterds eigentlich nicht mehr spielbar ist.
Doch Bleibtreu macht seine Sache staunenswert gut, immer wieder spielt er viel zu laut, viel zu groß, so, wie es dem übergroßen Goebbels-Mythos angemessen ist; bellt seine Worte heraus, unterstreicht jede Aussage mit überdeutlichen Gebärden, gebärdet sich sowieso wie ein Derwisch um dann wieder ganz leise zu sein, ganz still im Hintergrund zu beobachten, wie sich seine Impulse in Taten, Worte, Gedanken auswachsen, ganz nach seinem teuflischen Spiel. Bleibtreu spielt eine ganz mephistophelische Figur, von der egal ist, ob und wie sehr sie den historischen Goebbels trifft er ist der master of puppets, der die Fäden in der Hand hält und zusieht, wie alle sich nach seinem Gutdünken bewegen.
Was Roehler mit Bleibtreu geschafft hat: Überzogenheit, die sich zu filmgewordener höherer Wahrheit verdichtet, das hätte er auch mit dem Rest des Films schaffen können. Denn heute kennt eigentlich keiner mehr Ferdinand Marian, eben nur vom Hörensagen als Hauptdarsteller in Jud Süß, ein Film, den auch nur wenige wirklich gesehen haben, weil er völlig zurecht in Deutschland nur unter strengen Auflagen vorgeführt werden darf. Harlans Jud Süß ist vielleicht der perfideste, hasserfüllteste Film, den es gibt gerade weil er so perfekt inszeniert ist, ein vollendetes Historienmelodram mit einem hervorragenden Mimen in der Titelrolle. Marian ist nämlich in der Tat ein großartiger Darsteller meist von charmant-charismatischen, moralisch indifferenten Verführern. In dieser Typenbesetzung ist er hervorragend, nicht nur in anerkannten Klassikern wie Romanze in Moll oder Münchhausen, sondern auch in kleinen, heute vergessenen Filmen wie in Die Nacht der Zwölf, einem seiner letzten Werke da spielt er einen Heiratsschwindler und Mörder, der mit Chuzpe (falls das Jiddische hier gestattet ist) versucht, durchzukommen die von ihm betrogenen titelgebenden zwölf Frauen jedenfalls decken ihn, weil sie nach wie vor von ihm und seiner Ausstrahlung gebannt sind.
Da nun beide Marian und Jud Süß heute nicht mehr wirklich bekannt sind, hätte Roehler freie Hand gehabt. Um die historische Wahrheit einigermaßen exakt darzustellen, hätte es wohl eines Dokumentarfilms bedurft was Roehler nie vorhatte. Ein Spielfilm aber hätte nun wirklich auch eine Art Fantasie über das Thema sein können, so, wie Bleibtreus Goebbels eine Fantasie über den wirklichen Filmminister des Dritten Reichs ist. Doch Roehler entschied sich für den Mittelweg und der bringt den Tod des Films. Denn allzu sehr bleibt Roehler in einer filmischen Aufarbeitung dessen stecken, was er als wirkliches Geschehen behauptet und ist aber andererseits eben nicht der Wahrheit verpflichtet, erfindet eine viertelsjüdische Ehefrau Marians hinzu, die Goebbels als Erpressungsmaterial nutzt, um Marian in die Rolle des Juden Süß zu zwingen.
Roehler geht dann aber auch nicht weiter: er lässt seinen Marian, von Tobias Moretti gespielt, zwar erklären, er würde diesen Juden möglichst sympathisch darstellen, um aus Jud Süß eben doch keinen Propagandafilm zu machen, um die goebbelssche Absicht zu unterlaufen aber andererseits begleitet Roehlers Film die Dreharbeiten zu Jud Süß so wenig, so läppisch, so beiläufig, dass sich aus Marians Aussage keine Konsequenzen ergeben. Wie also die Wirkung des Films hergestellt wurde, das bleibt nach wie vor im Dunkeln.
Die Wirkung selbst wiederum, die bildet dann einen Schwerpunkt bei Roehler allerdings auch eher auf der Ebene der Behauptung als auf der des Zeigens. Ja: 20 Millionen Zuschauer haben Jud Süß damals gesehen, er wurde (offenbar recht erfolgreich) zum antisemitischen Aufputschen nicht nur der Bevölkerung, auch konkret der SS-Wachsoldaten in KZs eingesetzt. Doch die subtile Wirkung des Hassfilms auf sein Publikum sieht man nur durch die Auswirkungen auf den Hauptdarsteller Marian, der auf diese eine Rolle fixiert wird; und sich darüber auch mit Goebbels vollends entzweit in Roehlers Film wohlgemerkt, nicht in der historischen Wirklichkeit. Tatsächlich hat Marian in der Ufa weiter seine Karriere betreiben können, er hat danach noch zehn weitere Filme gedreht. Immerhin wurde er von Goebbels als kriegswichtiger Schauspieler eingestuft, was ihn vor dem Kriegseinsatz verschonte.
Zudem ist das Ganze dramaturgisch ziemlich schwach: am Ende werden die Zeitsprünge immer länger, und Marian fährt sich dann recht plötzlich, nachdem er von ehemaligen jüdischen KZ-Insassen verprügelt wurde, mit dem Auto in den Tod. Marian also als Opfer der Umstände, zuletzt gar der Juden. Das wäre an sich eine unerhörte Verdrehung der Tatsachen, fast schon ein Skandal in seiner apologetischen Absicht, in der Vertauschung der Täter- und Opferrollen hätte man nicht ständig das Gefühl, dass die Filmemacher einfach nicht genug nachgedacht haben.
Allerdings: Marians Charakterisierung ist denn insgesamt doch ziemlich gut gelungen: als Schauspieler, der zwischen Skrupel und Eitelkeit schwankt, der den Erfolg seines Films genießt und zugleich Angst hat vor dem Monster, das er erschaffen hat. Zwar ist Moretti als Marian nicht so gut wie der echte Marian in seinen Filmen. Mit Blicken, mit kleinen Regungen seiner Gesichtsmuskeln die Falten von Nase zu Mundwinkeln! die Lippen, die ein ironisches, einnehmendes Lächeln bilden! kann Marian, der echte, größte Wirkung entfalten; auch war er ein Spieler mit ganzem Körper, Haltung, Gestik: alles passte zu seinen schmierigen, verführerischen, eleganten Charakteren zwielichtige Genussmenschen, sympathische Bonvivants, wie es bei Roehler mal heißt. Moretti dagegen agiert mitunter eher bieder wie Willy Birgel, steht steif da, mit aufgeklebtem Lächeln
Am ehesten ist der Film oder vielleicht besser: der Regisseur Roehler in Szenen bei sich, die kaum zum Rest des Films passen. Nach einer der Galaaufführungen von Jud Süß arrangiert Goebbels, der Mann im Schatten, ein Treffen Marians mit der geilen Ehefrau eines SS-Kommandanten (Gastrolle: Gudrun Landgrebe), und da gerät der Film in die Art von Wahrheitsfantasie, von Historientrash, die der ganze Film hätte sein können, vielleicht hätte sein sollen: vor dem Hintergrund des nächtlichen Berlins bei einem Bombenangriff, vor Flakscheinwerfern, Explosionen und röhrenden Flugzeugmotoren nimmt Marian sie von hinten, am Fenster, und zitiert dabei seine Vergewaltigungsszene aus Jud Süß, zu ihrem wolllüstigen Vergnügen: Ja, fick mich, Jude!
Fazit: Unausgegorenes Historiendrama um Ferdinand Marian und seine Titelrolle in Jud Süß mit ein paar wunderbaren Momenten und vielen schlechten.