Karla, Rosalie und das Loch in der Wand: Diese Tragikomödie hätte leicht larmoyant und klischeehaft werden können, aber Buch, Regie und das Schauspieltrio haben dafür gesorgt, dass die Figuren Ecken und Kanten haben.
Diese Tragikomödie hätte leicht larmoyant und klischeehaft werden können, aber Buch, Regie und das Schauspieltrio haben dafür gesorgt, dass die Figuren Ecken und Kanten haben.
Bei den Titeln ihrer Freitagsfilme im „Ersten“ greift die ARD-Tochter Degeto gern mal daneben. „Karla, Rosalie und das Loch in der Wand“ ist dagegen geradezu wohltuend unplakativ. Streng genommen müsste neben Ingenieurin Rosalie und ihrer jungen Nachbarin Karla auch noch Rosas ältere Schwester Margret genannt werden, denn sie ist für die Handlung nicht minder wichtig; das Loch in der Wand ist vor allem in dramaturgischer Hinsicht von Bedeutung. Zweiter Einschaltgrund neben der ungewöhnlichen Geschichte ist das Ensemble: Die Charaktere sind ein bisschen zugespitzt, aber die drei Hauptdarstellerinnen haben der Versuchung widerstanden, auf naheliegende Klischees zurückzugreifen.
Der Film beginnt mit einem Schwächeanfall. Rosa (Jutta Speidel) arbeitet seit Jahrzehnten für die Organisation „Ingenieure für die Welt“. Ihr jüngstes Projekt ist ein riesiges Solarfeld in Kenia. Kaum hat sie kurz vor der Eröffnung einen Kurzschluss behoben, bricht sie zusammen. Die empfohlene Auszeit will sie sich im Elternhaus nehmen, aber da hat sich mittlerweile einiges geändert: Margret (Ruth Reinecke) hat die Hälfte des Eigenheims an eine Familie vermietet. Als Rosa im Gästezimmer ein Tuch aufhängen will, gibt die vom Nachbarn eingezogene Wand nach und einen kleinen Schatz preis: Irgendjemand hat hier einige tausend Euro versteckt. Rosa ist pleite, der unerwartete Segen kommt wie gerufen, denn Margret erwartet, dass sie sich an den Haushaltskosten beteiligt. Um zu erklären, woher sie plötzlich das Geld hat, erzählt Rosa, Nachbartochter Karla (Paula Hartmann) habe sie engagiert, um sie bei den Vorbereitungen aufs Abitur zu unterstützen.
Bis zu diesem Punkt klingt der Inhalt nach einer typischen Geschichte über zwei grundverschiedene Schwestern, die mit gängigen Altersproblemen konfrontiert werden: Margret, ehemalige Lehrerin, erweckt den Eindruck, als habe sie nicht nur das Mobiliar ihrer Eltern behalten, sondern trage auch die Kleidung ihrer Mutter auf. Es dauert eine Weile, bis das Drehbuch (Nadine Gottmann) offenbart, worum es bei Margret eigentlich geht: Sie ist einsam. Die lebensbejahende Rosa ist das exakte Gegenteil, kein Alt-Hippie zwar, aber auffallend bunt gekleidet und im Herzen jung geblieben; so jung, dass sie die Warnsignale ihres Körpers ignoriert. Ihr Thema ist das Loslassen und die Erkenntnis, dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt.
Die Handlung wäre ohne Weiteres als Zwei-Personen-Stück denkbar, aber durch die dritte Figur kommt Schwung in die Geschichte. Dank des Lochs in der Wand kriegt Rosa alles mit, was sich in Karlas Zimmer tut, denn auf deren Seite ist ein Lüftungsgitter. Auf diese Wiese hat sie das nötige Wissen, um sich erfolgreich in das Leben des Mädchens einzumischen. Sie verwendet das gefundene Geld, um der jungen Frau hinter dem Rücken des verwitweten Vaters (Aurel Manthei) den Führerschein zu finanzieren, und sorgt dafür, dass sie vor die Tür kommt, denn Karla versteckt sich in ihrem Rollstuhl vor dem Leben. Ihr Thema ist das Dasein als Außenseiterin. Das erklärt trotz eines denkbar schlechten Beginns die Freundschaft zwischen der jungen und der reifen Frau, denn Rosa ist es einst offenbar ähnlich ergangen. Wie zu erwarten fällt Rosas Kartenhaus jedoch irgendwann in sich zusammen, und auch die körperliche Robustheit entpuppt sich als frommer Selbstbetrug.
Für Tempo sorgen neben der munteren Musik vor allem die flotten Dialoge; die sarkastischen Wortgefechte haben den drei Schauspielerinnen bestimmt genauso viel Spaß gemacht wie der Autorin beim Schreiben, zumal sich Paula Hartmann und Jutta Speidel vortrefflich ergänzen. Zur Komödie wird der Film, weil Nadine Gottmann immer wieder kleine Heiterkeiten einflicht. Regie führte Hanno Olderdissen, dessen nicht minder unterhaltsamer Debütfilm „Familie verpflichtet“ (2015, NDR) von der schwierigen schwulen Beziehung zwischen einem Juden und einem Araber handelte.
Tilmann P. Gangloff.