In einem Interview sprach Meisterregisseur Martin Scorsese über den aktuellen Stand des Hollywood-Kinos und wieso es gerettet werden muss – aber nicht von ihm.
Am 19. Oktober 2023 startet mit „Killers of the Flower Moon“ der 27. Film in der langjährigen Karriere des ausnahmslos talentierten Meisterregisseurs Martin Scorsese in den deutschen Kinos. Die Verfilmung des Sachbuchs „Das Verbrechen: Die wahre Geschichte hinter der spektakulärsten Mordserie Amerikas“ von Autor David Grann, die seit 2016 in Arbeit ist, feierte ihre Weltpremiere am 20. Mai bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes und wurde vom Publikum mit einem neunminütigen Beifall bedacht. Die ersten Kritiken deuten bereits auf einen wahren Oscar-Regen für „Killers of the Flower Moon“ hin.
Tatsächlich sollen Leonardo DiCaprio und Robert De Niro in ihren beispiellosen Karrieren nie besser gewesen sein – bei ihrer Vita will das schon etwas heißen. Die Entdeckung des Films soll aber Lily Gladstone sein. Keine Frage, Martin Scorsese hatte schon immer ein Gespür für Schauspieltalente. Egal ob Harvey Keitel, Robert De Niro, Margot Robbie, John Turturro oder Jodie Foster: Ihnen allen verhalf Scorsese zum Durchbruch.
Sie waren und sind seine Instrumente seit seinen Anfangstagen während des New Hollywood und sind auch heute noch unbedingter Mittelpunkt seiner Geschichten. Während Scorsese als Teil dieser New-Hollywood-Bewegung seinen Beitrag leistete, die verblichene „goldene Ära“ der Traumfabrik abzustreifen, um Raum für ein ganz neues Verständnis des Filmemachens zu schaffen, ist er nun an der Spitze alteingesessener Filmschaffender, die sich gegen den Wandel des Mediums Film stemmen, oder die das Kino zu retten versuchen – je nachdem, wen man fragt.
Nachdem er in den vergangenen Jahren immer wieder gegen das seinerzeit durch das Marvel Cinematic Universe (MCU) und das DC-Universum dominierende Superheld*innenkino gewettert hatte, äußerte sich der 80-Jährige im Interview mit GQ abermals zum aktuellen Stand des Kinos mit vermeintlichen Event-Filmen und endlosen Film-Franchisen wie „Fast & Furious“ an sich. Er habe die Befürchtung, dass ganze Generationen heranwachsen könnten, deren Verständnis vom Kino kompromittiert sein könnte:
„Die Gefahr dabei ist, was es mit unserer Kultur macht. Denn es wird jetzt Generationen geben, die denken, dass Filme nur genau das sind – das sind für sie Filme. Sie denken das bereits. Das bedeutet, dass wir uns stärker zur Wehr setzen müssen. Und das muss von der Wurzel kommen. Es muss von den Filmschaffenden selbst kommen. Da sind die Safdie-Brüder (‚Der schwarze Diamant‘, Anm. d. Red.) und da ist Christopher Nolan, verstehen Sie, was ich meine? Und man muss sie von allen Seiten attackieren. Man muss von allen Seiten angreifen und darf dabei nicht aufgeben. Man muss zeigen, was man drauf hat. Da rausgehen und es tun. Sich neu erfinden. Sich nicht darüber beschweren. Aber es ist wahr, wir müssen das Kino retten. Ich denke, dass die [heute] produzierten Inhalte kein Kino sind.“
Scorsese spricht bewusst von Inhalten, einem Jargon der Streaming-Ära, in der Netflix und Co. Film- und Serienproduktionen absegnen und finanzieren, bei denen man sich das ein oder andere Mal durchaus fragen muss, ob überhaupt so etwas wie eine Vision oder zumindest eine Art Qualitätskontrolle vorhanden ist. Der einzige Zweck solcher Inhalte bestehe laut Scorsese nur darin, „konsumiert“ und direkt wieder vergessen zu werden – ohne jeglichen bleibenden Eindruck. Ohne Botschaft. Er habe gar den Eindruck, dass diese Werke wie von einer Künstlichen Intelligenz geschaffen würden. Das kann man von seinem neuen Film „Killers of the Flower Moon“ jedenfalls nicht behaupten, wie bereits der fantastische Trailer verspricht.
Martin Scorsese: So viele Filme stecken noch in ihm
Mit der Aufgabe, „das Kino zu retten“, wird sich Scorsese selbst wohl nicht mehr befassen. Wobei man hier durchaus betonen sollte, dass er über Jahrzehnte hinweg konstant großartige Qualität geliefert hat. Aber er sei jetzt alt und er sei sich nicht sicher, wie viele Filme ihm noch vergönnt seien:
„Ich freue mich auf neue Möglichkeiten. Es ist nur so, dass ich es bis hierhin geschafft habe. Und das ist es, was ich tue. Das ist alles. Und wenn ich nur die Energie aufbringen könnte – so Gott will –, ein paar mehr zu machen, vielleicht einen noch, und das war’s dann, okay? Weiter bin ich nicht gekommen. Man macht weiter, bis man nicht mehr kann. […] Ich werde 81. Ich weiß es nicht. Ich werde es versuchen, bis sie mich vom Boden kratzen. Was soll ich sagen?“
Womöglich hat Scorsese sein Opus magnum gerade erst erschaffen.
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