Wenige Tage vor der Premiere seiner neunten Sinfonie in Wien sitzt der Komponist Ludwig van Beethoven erleichtert im Wirtshaus und erzählt seinem Stammtischkumpel, dass er in Anna Holtz überraschend in letzter Minute eine Kopiererin (unerhört: eine Frau) gefunden hat, die für ihn die Orchesterpartituren vervielfältigt und so für die Noten der Musiker für die unmittelbar bevorstehende Uraufführung sorgt. „Dieses Frau schickt mir Gott“, sagt er zu seinem Freund, worauf dieser grinsend entgegnet: „Nein, das war nicht Gott. Weiber schickt normalerweise der Andere.“ Solche und andere geschliffene Dialoge ziehen den Zuschauer mit einem Schmunzeln sogleich in eine fiktive Geschichte hinein, die so zwar nicht stattgefunden hat, aber durchaus überzeugend und nachvollziehbar erzählt wird.
Glaubwürdig wird dem Meister bei seiner Arbeit, bei der Entwicklung seiner Kompositionen über die Schulter geschaut und erlebbar, begreifbar gemacht, wie Musik dieser Zeit Besitz von der menschlichen Seele ergreift und ihr Ausdruck gibt. Wir lernen, dass die musikalische Wahrheit zwischen den Zeilen, Noten und Takten liegt. Die Musik, so Beethoven, lebt von der Stille und umgekehrt.
Ein Film über die Kraft der Musik, ohne einfach nur ein Musikfilm zu sein. Ein Film über Beethoven und seine Muse Anna Holtz, ohne einfach Biografie zu sein.
Ed Harris in der Rolle des Beethoven wächst über sich hinaus, spielt meisterlich, Oscar-reif. Diane Kruger als Anna Holtz verkörpert seine bisweilen von ihm gedemütigte Muse und zuverlässige Kopiererin, ohne die er seine letzten Meisterwerke nicht hätte vollbringen und vollenden können. Bildkompositionen wie die Kamerafahrten im Konzertsaal bei Kerzenlicht oder die statischen Einstellungen in der Enge seiner Wohnung sind schlicht als genial zu bezeichnen. Die Bilder evozieren die zeitgenössische Lebenssituation.
Regisseurin Agnieszka Holland gelingt es, die Gefühle der Zuschauer nicht nur bei „Freude schöner Götterfunken“ der Neunten Sinfonie im Konzertsaal zu berühren, sondern auch den Kontrast von herrisch-autoritärem Duktus und platonischer Liebe zwischen Beethoven und Anna Holtz bisweilen beklemmend erfühlbar zu machen. Das mag nicht jedermanns Sache sein, ist aber weit entfernt von den möglichen Klischees und dem Kitsch einer handelsüblichen Hollywood-Produktion. Geradezu lyrisch die Szene der rituellen Körperwäsche, die von großer Bedeutung ist für die Dramaturgie und den weiteren Verlauf der Geschichte, weil spätestens hier der Charakter der zwischenmenschlichen Beziehung zwischen Musiker und Muse definiert wird, die jedenfalls kein Liebesverhältnis ist oder werden wird.
Der Film kreist die Brüche zwischen heroischem Heldentum, menschlichem Versagen und Unzulänglichkeit und zeigt auch das Scheitern Beethovens in seiner weiteren musikalischen Entwicklung, gekennzeichnet von zunehmender Taubheit, der schlimmsten aller denkbaren Krankheiten für einen Musiker. Fast völlig taub dirigiert er mit Anna Holtz als Taktstock-Soufleuse aus dem Orchestergraben heraus die Neunte bei der Uraufführung. Mit dem Schlussakkord erhebt sich das Publikum im Saal zu Standing Ovations, was man im Hintergrund des Dirigenten von der Bühne herab zwar sieht, aber nicht hört, und was nur mit einem dumpfen Grollen auf der Tonspur unterlegt ist. Erst die Kamerafahrt um Beethoven herum - jetzt aus der Perspektive des Publikums - lässt kristallklaren, frenetischen Applaus aufbranden. Wie könnte man besser das körperliche Gefängnis illustrieren, in dem ein mit Taubheit geschlagener Mensch steckt, und gleichzeitig seine körperliche Abhängigkeit von einer Frau darstellen, was so in den damals herrschenden gesellschaftlichen Umständen nicht zulässig, ja kaum denkbar gewesen wäre. Diese historische Ungenauigkeit kann man als zulässigen Kunstgriff werten und diesem handwerklich perfekt gemachten, opulenten Sittengemälde zugestehen.
Ein Teil des FBW-Hauptausschusses sah in „Klang der Stille“ einen zweifellos sehenswerten biografischen Film, aber eben nicht eine außerordentliche und ungewöhnliche Leistung in seinem Genre. Es überwiegt aus dieser Sicht des FBW-Gremiums eine konventionelle Konzeption, auch dort, wo modische Elemente einer Boulevardisierung des Sujets einfließen. Strittig und diskussionswert erscheint auch die Grundthese des Films, Musik als Gabe Gottes und göttliche Berufung zu interpretieren („Musik ist die Sprache Gottes“ oder „Wir Musiker bringen die Kinder Gottes zur Welt. Das ist, was Musiker sind. Und wenn wir das nicht sind, sind wir gar nichts…“). Diese These des Göttlichen reduziert doch auf etwas befremdende Weise die für seine Zeit so radikalen und revolutionären Haltungen Beethovens. Da waren frühere filmische Beethoven-Adaptionen wie etwa von Abel Gance oder die Arbeit von Horst Seemann/Günter Kunert aus den 70er Jahren viel näher an dem Musikrevolutionär Beethoven. So reduziert „Klang der Stille“ damit auch einen aus dem Heute akzentuierten Dialog mit dem Phänomen der Persönlichkeit Beethovens und mit seiner Musik.
Zur Konzeption des Films merkte ein Teil des FBW-Hauptausschusses auch kritisch an, dass die Musik überwiegend illustrativ verwendet und eingesetzt wird. Kontrapunktisch gesetzte Bild- und Tonmontagen sind die Ausnahme. Auch diese Haltung betone den konservativen Gesamtduktus.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)