Auf eindrucksvolle und klug reflektierte Weise erzählt der Dokumentarfilm KLEINE GERMANEN von Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh von Kindern und Jugendlichen, die in einem rechten, neonazistischen Umfeld aufwachsen.
Als Kind denkt man nicht an Politik. Man denkt nicht an Vorurteile, an Ideologien, an Religion, an Abgrenzung. Als Kind ist man unschuldig. Doch man orientiert sich an dem, was die Erwachsenen sagen, denken, nach außen tragen. Und übernimmt ihre Muster - in einer Spirale, die sich immer weiter nach oben schraubt. Die Filmemacher Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh erzählen in ihrem Dokumentarfilm KLEINE GERMANEN die Geschichten von Kindern, die in einem rechten, neonazistischen Umfeld aufwachsen. Um all die verschiedenen Schicksale, die sie in der Recherche aufgegriffen haben, deutlich zu machen, wählen sie eine animierte Geschichte, die das Schicksal von Elsa verdeutlicht. Sie wächst unter der Obhut ihres Opas, eines ehemaligen SS-Soldaten, auf und wird von ihm mit „germanischem“ Gedankengut geimpft. Ihr ganzes Leben lang wird davon geprägt sein - bis sie spürt, dass ihre eigenen Kinder unter ihrer eigenen Haltung leiden müssen. Und sie den Ausstieg wählt. Geiger und Farokhmanesh stützen diesen sich aus vielen Geschichten speisenden Handlungsstrang mit Gesprächen mit rechten Aktivisten, die von den Filmemachern nie vorgeführt werden. In offenen Interviews erzählen sie von ihrer eigenen Kindheit und von ihrer jetzigen Position als Eltern, die ihren Kindern Werte vermitteln wollen. Die Filmemacher halten sich in ihrer Kommentierung zurück, lassen die Äußerungen stehen und nehmen den Zuschauer ernst in seinem eigenen Urteilsvermögen. Gleichzeitig wird durch die sehr kluge Montage, die erläuternden Expertenstandpunkte und die immer bedrückender werdende Geschichte Elsas auch die kritische Haltung von Geiger und Farokhmanes deutlich. Um das Spektrum der Ansichten zu komplettieren, kommen auch junge Menschen zu Wort, die den Ausstieg rechts geschafft haben und sich von der Ideologie ihrer Eltern lösen konnten, als sie als junge Erwachsene mit Andersdenkenden in Berührung gekommen sind. Der Film endet mit der Mahnung, dass sich Geschichte wiederholen kann. Nicht nur im großen gesellschaftlichen Rahmen. Sondern auch und gerade im Kern der Familie. Ein kluger, reflektierter und gerade in der heutigen Zeit immens wichtiger Film.
Jurybegründung:
„Islamfreie Schulen“, „Kinder Willkommen“, „Neue Deutsche? - Machen Wir Selber!“. Diese und ähnliche Sprüche finden sich auf den Wahlplakaten rechter Parteien. Was wirklich dahinter steckt, und vor allem, wie eine Kindheit in einem extrem rechtsextremen Haushalt vorzustellen ist, das versucht KLEINE GERMANEN aufzudecken.
Äußerst feinfühlig arbeitet sich der Dokumentarfilm von Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger an das Thema heran. Dafür erzählt er die Lebensgeschichte von Elsa. Angefangen von ihrem Spiel mit dem Großvater über ihre eigene Familiengründung, bis hin zur Loslösung aus rechtsextremen Zusammenhängen ist ihre Biographie von generellem Misstrauen, Fremdenfeindlichkeit und Ängsten geprägt. Das ist eine Feststellung, die betroffen macht. Weil Menschen des rechten Spektrums sich im öffentlichen Leben durch fremde Kulturen und linke Einflüsse bedroht fühlen, scheint es naheliegend, dass sie sich ausschließlich auf eigene Peergroups verlassen, sei es die Familie oder eine rechtsextreme Gemeinschaft.
KLEINE GERMANEN folgt einem interessanten, dramaturgischen Konzept. Durch seine Einfühlsamkeit gelingt es dem Dokumentarfilm, ein Gespür für das Klima in diesen Peergroups zu vermitteln. Dem durch die Ängste entstehenden Druck von außen wird ein innerer Druck entgegen gesetzt. Diskurse sind alleine dadurch beinahe unmöglich. Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger gelingt es, genau durch genau diese Beobachtungen und Feststellungen Sympathie für die Kinder und Jugendlichen innerhalb dieser Systeme zu entwickeln.
Fehlende Bilder - sei es, weil Bildmaterial schlichtweg fehlt, sei es zum Schutz betroffener Kinder vor der Öffentlichkeit - weiß KLEINE GERMANEN dabei durch liebevoll gestaltete Animationssequenzen zu ergänzen. Alle „hard facts“ werden dagegen zumeist eingesprochen oder von Eltern oder Erziehern der rechten Szene in Interviews gegeben. Das Interessante: Nicht jedes Statement ist dabei per se zu verdammen. Fehlende Zeit für Kinder, die Digitalisierung der Lebenswelt und viele Themen mehr sind allgemein kommunizierte Problematiken. Immer wieder konnten die Jurymitglieder entdecken, wie sie auch ihren eigenen Standpunkt bezüglich der angesprochenen Problematiken hinterfragten, immer wieder aber konnten sie auch entdecken, dass eben nicht einzelne Argumente zu hinterfragen sind, sondern die demokratiefeindliche Haltung, die hier entsteht oder bei den Sprechenden ganz klar zu beobachten ist.
Die durchaus berechtigte, aufkommende Frage, ob Teile oder einzelne Motive des Films auch von rechtsextremer Seite missbraucht werden könnten, diskutierte die Jury ausgiebig. Immerhin bildet der Film, aufgrund seiner mitunter zarten Töne, eine durchaus romantisierende Vorstellung von Familie ab. Allerdings, so die eindeutige Antwort der Jury, berichtet der Film in seiner vollen Länge eindeutig über das Erwachsenwerden in sektenähnlichen Strukturen, die auf ein Leben aus Hass und Lügen vorbereiten.
KLEINE GERMANEN zeigt auf ganz subtile Weise, wie es ist, in einer Welt aufzuwachsen, in der nicht Liebe, sondern der Stolz auf die Deutsche Nation propagiert wird. Dabei ist KLEINE GERMANEN definitiv kein Agitationsfilm, sondern der feinfühlige Versuch zu verstehen, wie eine Kindheit in rechten Gruppierungen aussieht und was diese Gruppierungen zusammenhält. Mit ihrer Verbindung aus Dokumentar- und Animationsfilm gewähren Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger Einblicke in die umfassenden Strukturen von Familien im rechten Spektrum, die vielleicht nie so explizit und so erschütternd gezeigt wurden.
FBW-Jugend-Filmjury:
(www.jugend-filmjury.com)
In dem Film geht es darum, wie Kinder in rechtsextremen Familien aufwachsen und erzogen werden. Der Film ist eine Mischung aus Dokumentarfilm und einem animierten Spielfilm, der auf einer wahren Begebenheit beruht. Er wechselt ständig zwischen den Teilen des Spielfilms und den Interviews mit Eltern oder Erwachsenen der sogenannten „Neuen Rechten“ sowie Experten/-innen für Rechtsextremismus und Erziehung. In der animierten Geschichte geht es um die kleine Elsa, die in einer rechtsextremen Familie aufwächst. Sie wird von ihrem Nazi-Opa dazu erzogen stark, gehorsam und leidensfähig zu sein, ihre Gefühle nicht zu zeigen und nur ihre „Nation“ zu lieben. Sie wird dazu gedrängt, Juden und Ausländer zu fürchten und zu hassen. Sie heiratet dann Thorsten, der gewalttätig und noch rechtsextremer ist und sie bekommen zwei Kinder, die auch nach ihren strikten „germanischen“ Werten und Regeln erzogen werden. Gerade diese kraftvollen Spielfilmsequenzen, in denen die Figuren so animiert sind, als ob sie gemalt wären, sind spannend und haben uns sehr berührt. Die Interviewsequenzen sind sehr interessant und informativ, aber es werden vor allem in Archivaufnahmen auch krasse Ansichten geäußert, die uns wütend gemacht haben. Wir würden den Film ab 14 Jahren empfehlen. Die Interviews sind eher für Erwachsene verständlich und wir denken, dass man sich mit dem Thema Nationalsozialismus schon vertiefend beschäftigt haben sollte. Bei Jüngeren könnten sonst möglicherweise auch Sympathien für rechtes Gedankengut geweckt werden.
emotional: 4 Sterne
tricktechnisch: 5 Sterne
lehrreich: 4 Sterne
traurig: 3 Sterne
realistisch: 5 Sterne
Gesamtbewertung: 4 Sterne.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)