Jeden Tag muss die junge Frau Leila, zusammen mit den anderen Frauen eines arabischen Dorfes, hoch auf einen Berg laufen, um von der Quelle Wasser zu schöpfen. Der Weg ist steinig und hart, Unfälle passieren oft, doch im Dorf gibt es nun mal keine Wasserleitung. Eines Tages beschließen die Frauen: Es reicht! Gemeinsam stellen sie ihre Männer vor die Wahl: Entweder eine Wasserleitung kommt ins Dorf oder die Tür zum Schlafzimmer bleibt verschlossen. Dass die Herren der Schöpfung von diesem Liebesstreik nicht gerade begeistert sind, ist klar. Doch die Frauen sind wild entschlossen, für bessere Lebensbedingungen zu kämpfen. In dem Film von Radu Mihaileanu geht es um mehr als nur um den Kampf für eine Wasserleitung. Es wird die (wahre!) Geschichte einer Gemeinschaft von Frauen in einem von Männern dominierten Land erzählt. Wie mutig und progressiv ihre Auflehnung dagegen ist, können westliche Zuschauer nur erahnen. Doch der Film bringt uns die Befindlichkeiten einer archaischen Gesellschaft auf eindrückliche Weise näher, indem er parabelhaft Figuren entwirft, die für unterschiedliche Positionen stehen. So ist Leila, einfühlsam gespielt von Leila Bekhti, eine junge Frau, die lesen und schreiben kann und nun nicht nur andere Frauen an ihrem Wissen teilhaben lässt, sondern auch die von Männern interpretierte „Wahrheit“ aus dem Koran hinterfragt. Ihr zur Seite steht ihr aufgeklärter Mann, gegen sie stehen die Altvorderen des Dorfes. Aufklärung versus Tradition ist der zentrale Konflikt. Der Film packt dies mit hohem dramaturgischen Geschick in eine wohltuend unaufgeregt erzählte Geschichte voller großartiger Bilder. Am Ende kommt tatsächlich eine Wasserleitung ins Dorf. Doch dieser Sieg kann für die Frauen erst der Anfang sein. Eine wunderbar märchenhaft anmutende Erzählung einer wahren Geschichte.
Jurybegründung:
Die Grundidee findet sich schon bei der antiken Komödie Lysistrata von Aristophanes, doch Radu Mihaileanu wurde durch wahre Vorkommnisse in einem kleinen türkischen Dorf im Jahr 2001 inspiriert. Die Frauen des Dorfes beschlossen, in einen Liebesstreik zu gehen, weil sie zum Wasserholen nicht mehr den beschwerlichen Weg zu einer weit und hoch gelegenen Quelle auf sich nehmen wollten. Mihaileanu hat diese Geschichte nach Nordafrika verpflanzt und in einem Stil inszeniert, der mal wie ein Märchen, mal wie eine Parabel und dann wieder wie ein dramatisches Gesellschaftsporträt wirkt.
Beeindruckend ist dabei, wie subtil und komplex hier erzählt wird. Die Fronten verlaufen keinesfalls den Erwartungen entsprechend streng zwischen den Geschlechtern. So fragt ausgerechnet ein aufgeklärter Imam seine orthodoxe Frau, warum sie immer die Männer verteidigen würde. QUELLE DER FRAUEN spielt viele Problemfelder der arabischen Gesellschaften von heute durch, ohne dass dabei je das Gefühl aufkommt, er würde von der Hauptgeschichte abschweifen. So erzählt er en passant auch von der drohenden Infiltrierung der Gesellschaft durch mit Geld aus dem Ausland finanzierte Fundamentalisten, vom Einbruch westlicher Massenkultur wie den mexikanischen Telenovelas im Fernsehen oder von den Schwierigkeiten junger Frauen, die ihre Gefühle verleugnen müssen, um den alten Traditionen gemäß zu leben. Zum Teil verdichtet Mihaileanu mehrere Konflikte wunderbar in Schlüsselszenen wie etwa jener, in der die Frauen des Dorfes für Touristen tanzen und singen, und dabei Spottverse improvisieren, die die Männer düpieren, während die Reisegruppe sich über die vermeintlich idyllische Folklore freut. Auch in anderen Szenen macht der Film deutlich, dass die Frauen uralte Formen ihrer oralen Kultur als Widerstandmittel nutzen, wie sie aber gleichzeitig auch um Schulbildung kämpfen, denn das Erlernen von Lesen und Schreiben sind für die Frauen wichtige Schritte zur Emanzipation. Dies macht Mihaileanu in einer anderen Schlüsselszene deutlich, in der die Heldin des Films Leila einen Disput mit dem Imam führt, indem sie direkt Suren aus dem Koran zitiert, in denen von den Rechten der Frauen die Rede ist. Mihaileanu erzählt mit einer überbordenden Fabulierkunst, findet aber auch poetische Bilder wie jenes, in dem Leila einem früheren Geliebten eine Blume durch ein Fenstergitter reicht.
QUELLE DER FRAUEN ist großes Kino, das auf große Leinwände gehört.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)