Vier Tage am Hofe von Versailles: Am 14. Juli 1789 ist alles wie immer, am 15. kommen beunruhigende Gerüchte auf, am 16. herrscht Panik und am 17. werden Entscheidungen gefällt. Was draußen in der Welt wirklich passiert, weiß keiner. Und auch der Zuschauer von "Leb wohl, meine Königin!" muss sich an den Geschichtsunterricht über die Anfänge der Französischen Revolution erinnern: Mit dem Sturm auf die Bastille, die Volksbewaffnung und der demütige Fußgang des Königs nach Paris.
Regisseur und Mitautor Benoït Jacquot erzählt in dem historischen Drama "Leb wohl, meine Königin!" die Weltgeschichte, indem er sie außen vor lässt. Die Handlung spielt am Hofe von Versailles und stellt die Dienerin und Vorleserin Sidonie der Königin Marie Antoinette in den Mittelpunkt. Der Hof erhält nur mit großer Verzögerung sehr spärliche Nachrichten von außen - dabei macht der Film ganz nebenbei auch klar, welch ungeheure geographische Entfernung zwischen Paris und Versailles herrschte, immerhin über 20 Kilometer, die erst einmal überwunden werden wollen, wenn man sie überhaupt überwinden will. Denn nicht nur geographisch, auch gesellschaftlich herrscht größte Distanz. Kein Wunder, dass am großen Tag des Bastillesturms in Versailles noch keiner von irgendetwas weiß. Damit verlegt Jacquot geschickt und nicht ohne Ironie den Blick auf die Innenperspektive des alten Systems, während Paris zugrundegegangen ist.
Wir folgen Sidonie mit dem immer gleichen, ritualisierten Alltag, wie sie für die Königin zurecht machen muss, während ein junger Bursche und bekannter Weiberheld sie erobern will und die Priester mit den Zofen im Essenssaal tanzen. Zwischendurch liest sie der Königin etwas vor, eine Geschichte oder aus einem Modemagazin, oder stickt eine Dahlie für Marie Antoinette.
Schauspielerin Léa Seydoux, bekannt als Killerin im jüngsten "Mission Impossible"-Film, spielt die Sidonie, die ein besonderes Verhältnis zu ihrer Königin hat. Marie Antoinette wird von Schauspielerin Diane Krüger gespielt, nicht überkandidelt als Popqueen, wie es Kirsten Dunst für Sophie Coppola getan hat, sondern als verwöhnte und verschwendungssüchtige aber einsame Frau. Sidonie liebt diese Königin, die sprunghaft ist, launisch, die mal unendlich liebevoll und einen Moment später fies sein kann.
Der Film entwickelt ein Liebesdreieck mit der Königin an der Spitze, zärtlich verehrt von der untergebenen Sidonie und selbst leidenschaftlich zugeneigt der Gräfin Gabrielle de Polignac. Hier schwächelt der Film etwas, weil sich keine Spannung mit dem Umbruch und der eingeleiteten Revolution aufbaut. Bis dann gegen Ende die Dynamik dieser Dreiecksbeziehung zum Drama des Untergangs zurückfindet, dem alle geweiht sind.
Interessant ist vor allem das Sittengemälde über Versailles, dem Jacquot diese Handlung beigefügt hat. Die genaue Ausgestaltung des Hoflebens fängt an mit der Ausstattung, mit all den Kostümen, Möbeln, Schmuckstücken und Gemälden, die oberflächlich so prächtig anzusehen sind und die bei genauem Blick schon alt sind, verschlissen, vielleicht mottenzerfressen und wurmdurchlöchert. Und die Analyse der königlich-absolutistischen Blase geht weiter in den Charakterisierungen, die für jede Figur ausgefeilt sind: Jeder weiß um seinen Platz, und jeder gerät - auf unterschiedliche Art - in Panik, als das alte Gefüge ins Wanken gerät, und das umso mehr, als man dieses Wanken nur vom Hörensagen aus Paris mitbekommt. Die Adligen wie die Dienerschaft wissen tief in ihrem Herzen, dass etwas Neues anfängt. Sie sind unsicher und halten am Alten fest, geraten in Panik und fügen sich in die herkömmlichen Rituale. Im Flur, nur von Kerzen und Fackeln beleuchtet, herrscht nervöses Gewusel, das sich in Ausbrüche von Angst ausweitet - diese wiederholten Kamerablicke in die Eingeweide des Schlosses sind meisterhafte Szenen, die alles, was Versailles in diesen Tagen eines Umbruchs, von dem keiner Genaueres weiß, auf den Punkt bringen.
Auf absurde, unwirkliche Art wird die Dahlien-Stickerei für die Königin und die Frage, welches Buch denn zum Vorlesen geeignet und weder zu traurig noch zu frivol sei, genauso wichtig wie die Liste mit den 286 Persönlichkeiten, deren Köpfe die Revolutionäre als allererstes rollen sehen wollen.
Fazit: "Leb wohl, meine Königin!" wirft einen erfrischenden Blick auf die Französische Revolution aus der Perspektive einer Dienerin auf Schloss Versailles, wo man nur allmählich vage Ahnungen von den Umbrüchen bekommt, die in Paris schon geschehen sind.