Es ist John Cleese vermutlich vertraglich untersagt, in guten Filmen mitzuspielen. Deshalb wird in Lemony Snicket Rätselhafte Ereignisse eine Cleese scheinbar auf den Leib geschriebene Rolle von Billy Connolly übernommen, der den Schlangenforscher Onkel Monty spielt, immer eine Python um den Hals hat und Cleese in Aussehen, Mimik und Gestik zum Verwechseln ähnlich sieht im Deutschen hat er sogar Cleeses Synchronstimme. Es ist der perfekte Film für eine skurrile Cleese-Figur, die freundlich ist und sich wirklich bemüht, der aber dann doch irgendetwas im eigenen Charakter immer im Weg steht, die Forschungsleidenschaft zum Beispiel, und deshalb nimmt Onkel Monty die Kinder Violet, Klaus und Sunny auch nicht für voll, so wie sie von allen Erwachsenen im Film gering geschätzt werden.
Außer von Graf Olaf, dem nächsten Verwandten (und das bedeutet: der am wenigsten weit entfernt wohnende), der das Potential der Kinder erkennt: als Schlüssel zu einem großen Vermögen, das ihm, dem Schmierendarsteller, dem schlimmen Bösewicht, seiner eigenen bescheidenen Meinung nach zusteht als Vormund für die Waisenkinder.
Es ist eine wirklich schreckliche Geschichte, die Lemony Snicket hier erzählt, als Silhouette hinter der Kirchturmuhr. Er hat alles erforscht, was im Umfeld der großen Katastrophe im Leben der Baudelaire-Kinder geschehen ist, und er weiß, dass die Geschichte durch und durch düster ist, dass den Kindern viel Übles zustößt und dass man eigentlich auch als Zuschauer besser dran ist, wenn man im Kino nebenan irgend ein schönes Märchen mit glücklichen Elfen ansieht.
Aber wirkliche Märchen sind eben nicht gut, und sie zeigen keine heile Welt. Märchen sind voller Unglücksfälle, sie erzählen vom Verlust der Eltern, von der Suche nach Orientierung, vom bösen Zauberer, der die Helden in seine Gewalt zu bringen versucht, sie erzählen vom existentiellen Kampf um die ganze Welt der Helden. Das Böse ist übermächtig, und nur durch List und Erfindungsreichtum können die kleinen, unterlegenen Helden sich retten. Ihnen wird übel mitgespielt, sie verlieren die Eltern wie auch die Verwandten, die helfen wollen, aber zu zaghaft sind allein stehen sie gegen den diabolischen Gestaltwandler Graf Olaf. Von ihm werden sie gejagt, und keine Unterkunft scheint sicher, weder bei Onkel Monty noch bei der hysterischen und überängstlichen Tante Josephine, die in einem Haus wohnt, das an die Klippen über dem Seufzersee angehängt ist. Überall dringt Graf Olaf ein, spürt die lukrativen Waisenkinder auf und kann die Polizei wie den Vermögensverwalter Poe narren. Ja, es ist schrecklich, wie das Schicksal mit den Baudelaire-Kindern umspringt gut, dass alles nicht ganz so echt aussieht, denn es spielt in einer phantastischen Märchenwelt, entrückt von jedem Realismus.
Altmodisch sieht alles aus, recht monochrom, mit Autos aus den 60ern - die gleichzeitig funkgesteuerte Zentralverriegelung haben , eine Welt, in der die Gleichzeitigkeit vorherrscht, Altes und Neues zugleich, die deshalb zeitlos ist wie, ja eben wie ein Märchen. Die schwarzromantische, timburtoneske Welt macht das Drama weniger tragisch, und gleichzeitig wird das Geschehen abstrahiert, ein Wort, das hier gültig für alles und jeden bedeutet.
Denn Lemony Snicket erzählt vor allem vom Verlust und von der Trauer der Kinder um die Eltern, der von den Erwachsenen kein Raum gegeben wird. Doch der Film handelt auch vom Witz und Einfallsreichtum der Kinder und von der turbulenten Flucht vor Graf Olaf und vom Erwachsenwerden und von großen Schauwerten, im Studio erbaut, und davon, dass man nichts essen sollte, bevor man ins Wasser des Seufzersees steigt. Die Geschichte beinhaltet für jeden etwas, und deshalb ist es gut, dass Lemony Snicket jeden eindrücklich vor ihr warnt; denn wer will sich schon ansehen müssen, wie ein Auto mit Kindern drin beinahe von einem Zug zerquetscht wird oder wie ein Haus mit Kindern drin vom Fels weggeweht wird oder wie die Kinder mit vielen grauslichen Schlangen, darunter die Tödlichste aller Vipern, zu tun haben?
Lemony Snicket, der Erzähler, erfindet sich selbst als Phantom, und er kann es sich leisten, mit ironischer Koketterie vor seiner eigenen Geschichte zu warnen. Brad Silberling, der zuletzt mit der Tragikomödie Moonlight Mile seinen meisterlichen einfühlsamen Stil unter Beweis gestellt hat, kann also ohne Sorge leicht und sicher und voller Detailfreude Snickets Stoff verfilmen die Zuschauer wurden ja gewarnt, und wer jetzt noch im Kino sitzt und zusehen will, wie sich die moderne mit der phantastischen Welt der gothic novels vereinen, oder wie Kinder gezwungen werden, in einer zugemüllten Küche ein leckeres Essen zuzubereiten inklusive Abwasch, der muss ja wissen, was auf ihn zukommt. Ein Film nämlich, der einfach ist, wie Märchen einfach sind, und vielschichtig, wie Märchen vielschichtig sind, und der aber dann doch kein schönes Happy End bieten kann, weil die Flucht der Waisen vor Olaf, weil das Leben der Kinder immer weitergeht und dieser Satz bedeutet hoffentlich wird es noch mehr Lemony Snicket-Verfilmungen geben.
Fazit: Hervorragender märchenhafter Film, der Kinder für voll nimmt und Erwachsene nicht für dumm verkauft.