Owen Suskind ist 23 Jahre alt. Er hat das College abgeschlossen, zieht in seine erste eigene Wohnung, will sich eine Arbeit suchen. Alles ganz normal. Doch dass Owen einmal an diesen Punkt kommt, hätten seine Eltern wohl nicht vermutet. Denn im Alter von drei Jahren wurde bei Owen Autismus diagnostiziert. Owen kapselte sich von seiner Umwelt ab, verlor seine Sprache. Doch dann, eines Abends, schaute die Familie zusammen einen von Owens Lieblings-Zeichentrickfilmen. Und nach Jahren des Schweigens fing Owen plötzlich an, Dialoge aus dem Film mitzusprechen. Bis heute lebt Owen in einer Welt, die er sich aus Disney-Filmen zusammengebaut hat. Doch wie kann es Owen gelingen, auch in der realen Welt zurechtzukommen? Von der ersten Minute an ist man im Dokumentarfilm LIFE, ANIMATED von Regisseur Roger Ross Williams gefangen und berührt von der Geschichte Owens. Williams verknüpft Videoaufnahmen der Familie mit Interviews, um in Owens Krankheitsverlauf einzuführen. Die Eltern und Owen selbst erzählen von seinem Weg zurück ins Leben, der mit einem Disney-Film begann und sich immer noch wie ein Wunder anfühlt. Parallel dazu begleitet Williams seinen charismatischen, sympathischen und emotional so klugen Protagonisten bei seinem schwierigen Weg in ein selbstbestimmtes Erwachsenenleben. Denn Owen hat im Umgang mit ganz „normalen“ Alltagsdingen Probleme, die ein Nicht-Autist nur schwer nachvollziehen kann. Der Film zeigt diese Probleme auf, zeigt die Schwierigkeiten, die die Krankheit Owens Familie bereitet. Und doch trägt auch dies stets dazu bei, dass man als Zuschauer noch mehr eintauchen kann und für die Dauer des Films ein Teil der Familie wird. Ob die Eltern oder der verständnisvolle ältere Bruder, der Owen beschützen will: Man ist beeindruckt und berührt von diesen großartigen Menschen, die alles für Owen tun. Das französische Animationsteam von Mac Guff Animation fügt dem Bild traumhaft schöne Animationssequenzen bei, die in Owens Fantasie entstanden sind und sein Innenleben, seine Ängste, Träume und Erinnerungen spiegeln. Immer spielen auch dort die Disney-Figuren eine wichtige Rolle. Sie sind die treuen Begleiter in einer Welt, in der Owen nach und nach erwachsen wird. Während er in seiner Welt immer ein kleiner Junge bleibt. Einzelne klug ausgewählte Sequenzen aus Disney-Filmen benutzt Williams, um Owens Empfindungen zu verdeutlichen. Doch sie zeigen darüber hinaus auch, wieviel Kraft Filme haben können. Die Kraft, Menschen zu berühren und in ihnen etwas auszulösen, für das es keine rationale Erklärung gibt. Die Kraft, sie aus einer Blockade zu befreien. Und die Kraft, ihnen im Leben als Inspiration und Schutz zu dienen. Mit seiner berührenden Geschichte, seinen sympathischen Protagonisten und seinem klug durchkomponierten Konzept ist LIFE, ANIMATED nicht nur ein großartiger Dokumentarfilm. LIFE, ANIMATED ist auch eine Liebeserklärung an die Kraft und den Zauber von Filmen.
Jurybegründung:
Der Film beginnt mit einem kleinen Ausschnitt aus einem Homevideo, in dem der knapp dreijährige Owen Suskind ausgelassen und glücklich mit seinem Vater im Garten spielt. Kurz danach verändert sich dieses Kind extrem und unwiederbringlich. Er wurde zum Autisten und verschwand in seiner eigenen, für alle anderen unverständlichen Welt. Während der Dreharbeiten ist Owen 23 Jahre alt und kann erstaunlich gut mit seiner Umwelt kommunizieren. Denn sein Leben wurde durch Animationsfilme animiert, und in diesem Sinne hat der Titel eine tiefgehende doppelte Bedeutung. Owen kennt die Zeichentrickfilme der Disney-Studios auswendig und ist durch ihre Geschichten, Figuren und Werte geprägt. Langsam fanden seine Eltern heraus, dass er Dialogsätze aus diesen für seine eigenen Lebenssituationen anwendete und in dieser Form mit ihnen kommunizieren konnte. Wie Owen dadurch zumindest teilweise aus seiner autistischen Isolation befreit werden konnte, wird in diesem bewegenden, philosophischen und ständig überraschenden Film erzählt. Owens Vater, der Journalist Ron Suskind, hat über seinen Sohn ein Buch mit dem gleichen Titel geschrieben und durch dessen Zusammenarbeit mit dem Regisseur erklärt sich der sehr klare, nie in Sentimentalität abgleitende Erzählstil des Films. Die beiden Eltern erzählen, wie sie langsam in kleinen Schritten herausfanden, wie komplex sich die Erfahrungswelt von Owen durch die Disneyfilme entwickeln konnte, und wie gut sie mit ihm kommunizieren konnten, wenn sie etwa Figuren aus ihnen nachahmten. Der Film ist gespickt mit Ausschnitten aus Disney-Filmen, die jeweils genau deutlich machen, wie Owen durch sie geprägt wurde. Aber es gibt auch extra für den Film animierte Sequenzen, und selten hat das Stilmittel der Animation in einem Dokumentarfilm so gut Stil mit Inhalt vereinigt wie hier. So wurde etwa Owens Geschichte DAS LAND DER VERLORENEN SIDEKICKS, in der er alle Nebenfiguren aus seinen Lieblingsfilmen, mit denen er sich am besten identifizieren konnte, um sich versammelte, animiert, also ein Trickfilm über Trickfilmfiguren gemacht. Und Williams zeigt, dass Owen als 23-jähriger erkennt, wann das Leben auch für ihn kein Disney-Film sein kann. So gibt es dort etwa keinen Sex, doch Owen verliebt sich in eine junge Frau aus seiner Lerngruppe. Arbeit findet er schließlich in einem Kino - eine schöne Schlusspointe für diese außergewöhnlich gelungene Dokumentation.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)