Regisseur Lars Büchel erweckt mit dieser aufwändigen Verfilmung Paul Maars Kinderbuchklassiker zu neuem märchenhaften Leben. Weil sein Vater geschäftlich nach Amerika geht, wird der elfjährige Philipp, genannt Lippel, vorübergehend von einer Haushälterin betreut, die ihn nun in allen Lebenslagen schikaniert. Was bleibt Lippel da anderes übrig, als in seine Träume zu entfliehen? In der imaginierten Abenteuerwelt im exotischen Orient tauchen Lippels Vater als König, zwei neue Klassenkameraden als Königkinder, und die Haushälterin als hinterlistige Thron-Aspirantin auf. Letztere herrlich böse gespielt von Anke Engelke. Hochspannend und dramaturgisch geschickt aufgebaut, mit stimmungsvollen von einer exzellenten Kamera eingefangenen Bildern, an Originalschauplätzen in Marokko, entführt Lippel Jung und Alt in die geheimnisvolle Welt von 1001 Nacht. Ein großer und zugleich sympathischer Film, der mühelos mit internationalen Produktionen mithalten kann.
Jurybegründung:
Dem elfjährigen Philipp, genannt Lippel (Karl Alexander Seidel), steht eine harte Woche bevor. Sein Vater, der Sternekoch Otto Mattenheim (Moritz Bleibtreu), hat eine Einladung in die USA angenommen und Lippel muss in Obhut der neuen Haushälterin Frau Jakob (Anke Engelke) im heimischen Passau bleiben. Frau Jakob sieht zwar besser aus als die vorherigen Haushälterinnen, aber sie erweist sich bald als wahrer Kinderschreck. Sie ist unerbittlich streng, achtet peinlich genau auf Ordnung und Sauberkeit und kocht alle Dinge, die Lippel nicht mag. Selbst das Buch mit den Geschichten aus 1001 Nacht, das sein Vater ihm zum Abschied geschenkt hat, knöpft sie ihm ab. Doch da kommt Lippel seine reichhaltige Phantasie zur Hilfe. Nachts träumt er die angefangene Lektüre einfach weiter und erlebt aufregende Abenteuer in einer orientalischen Märchenwelt.
Hier verwandelt sich sein abwesender Vater in einen liebenswerten König und Lippels neue Mitschüler Hamide und Arslan sind seine Kinder. Frau Jakob wird zur hinterhältigen, machthungrigen Tante, der es durch eine Intrige gelingt, die Geschwister aus dem Palast zu verbannen und selbst die Herrschaft im Königreich zu übernehmen. Im Traum kommt Lippel den in der Wüste Ausgesetzten zur Hilfe und kann mit Taschenlampe und Zaubertricks, mit Mut und Phantasie, alles zum Guten wenden. Dabei muss er sich gegen allerhand Gestalten durchsetzen, die eine fatale Ähnlichkeit zu Menschen aus seinem realen Leben aufweisen, wie den hartherzigen Herbergswirt und dessen Sohn, die an den Konrektor Färber (Uwe Ochsenknecht) und seinen Sohn Hermann erinnern, von denen Lippel jeden morgen in der Schule gepiesackt wird. Aber er findet auch Unterstützung durch die schöne Serafina (Christiane Paul) und auch die Geschwister Hamide und Arslan werden zu wahren Freunden, mit deren Hilfe es schließlich auch im realen Leben gelingt, Frau Jakob in die Wüste zu schicken.
Der Film von Lars Büchel beruht auf dem beliebten Kinderbuch von Paul Maar, das im Jahr 1990 von Karl-Heinz Käfer schon einmal verfilmt wurde. Für die Neuverfilmung hat der Autor zusammen mit Ulrich Limmer das Drehbuch verfasst und die Geschichte leicht umgearbeitet und modernisiert. Sie wurde an Originalschauplätzen in Passau und im marokkanischen Ouarzazate sehr aufwändig verfilmt, nur einige Ausstattungsmerkmale und Effekte wurden digital hinzugefügt. So entsteht ein sehr schöner und überzeugender Kontrast zwischen den engen Gassen der deutschen Altstadt und den weiten Wüstenlandschaften, zwischen Wirklichkeit und Traumwelt. Beide Ebenen sind von der Kamera eindrucksvoll und atmosphärisch stimmig eingefangen. Ausstattung und Kostüme sind opulent und phantasiereich gestaltet. Insgesamt zeichnet der Film ein märchenhaftes Abbild des Orients, wie es den westlichen Vorstellungen von der arabischen Welt des Mittelalters entspricht.
Das ist das famose Setting für einen Film, der nicht nur ein spannendes Abenteuer wie aus 1001 Nacht erzählt, sondern virtuos Traum und Wirklichkeit ineinander verwebt. So sind die Personen aus Lippels Umgebung zwar wundersam verwandelt, spielen aber ähnliche Rollen wie im wirklichen Leben. Auch aktuelle Erlebnisse und Erfahrungen kann Lippel in seinen Traum einbauen, denn obwohl er von Frau Jakob immer wieder hart auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird, hat er die Fähigkeit, dort anzuknüpfen, wo er vorher aufgehört hat und träumt seinen Traum einfach weiter. So kann er seine Alltagsprobleme mit einem anderen Hintergrund sehen und auf phantastische Weise lösen.
Es ist schön anzusehen, wie sich Lippel in seiner westlichen Alltagskleidung immer besser in das orientalische Ambiente einpasst und wie es ihm gelingt, mit seiner Taschenlampe in „Star Wars“-Manier seine Verfolger zu beeindrucken. In dem Maße wie Lippel im Traum immer mutiger wird, schöpft er auch Kraft und Kreativität für seine Auseinandersetzungen im Alltag und kann sich in der wirklichen Welt besser zurechtfinden. Hier geht es ihm wie anderen Kindern, er hat Nöte und Sorgen, die wohl jedes Kind kennt und nachvollziehen kann - wie Angst vor der Dunkelheit zu haben, keine Tomaten oder keine Haut auf dem Kakao zu mögen und die Angst in der Schule gehänselt zu werden.
Die Kinderdarsteller sind perfekt ausgewählt und hervorragend geführt, was für eine besonders gelungene Regie-Leistung spricht. Der junge Karl Alexander Seidel verkörpert Lippel auf allen Ebenen glaubhaft und liebenswert. Moritz Bleibtreu ist ein sympathischer allein erziehender Vater und Anke Engelke gibt die böse Stiefmutter in allen Facetten ihres Spiels. Ihre Rolle ist, wie es sich für ein Märchen gehört, stark überzeichnet. Auch die Lehrer sind übertrieben dargestellt, was aber der Wahrnehmung von Kindern entsprechen mag und im Rahmen der spannenden Handlung für Lachen und Entspannung sorgt.
So hat Lippels Traum alles, was man sich von einem Kinder- und Familienfilm wünscht: einen sympathischen jungen Helden, mit dem Kinder sich gut identifizieren können und eine schön erzählte Geschichte, die Spannung, Abenteuer und Humor bietet. Vor allem aber ist der Film ein überzeugendes Plädoyer für die Kraft der Phantasie, oder, wie Produzent Limmer betont, „Träume helfen. Träume zeigen verborgene Möglichkeiten auf. Lippel träumt sich die Welt nicht schön, sondern er lernt in seinen Träumen, wie er die Welt meistern kann.“
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)