LORD OF THE TOYS begleitet den YouTuber Max „Adlersson“ Herzberg und seine Clique einen Sommer lang durch ihre Heimat Dresden und Umgebung.
In einer Zeit wie heute werden Stars im Internet gemacht. Und Max „Adlersson“ Herzberg ist ein Star. Seinen YouTube-Kanälen, auf denen er selbstgemachte Musikvideos, Challenges und Unboxing-Videos veröffentlicht, folgen über 300.000 Menschen. Max selbst findet es cool. Genau wie seine Freunde, die sich allesamt wünschen, irgendwann auch einmal vom Influencer-Sein leben zu können. Der Filmemacher Pablo Ben Yakov und sein Kameramann André Krummel haben für ihren im dritten Studienjahr an der Filmakademie Baden-Württemberg entstandenen Dokumentarfilm Max und seine Freunde einen Sommer lang begleitet und die Kamera auf sie gerichtet. Ohne zu kommentieren, ohne Fragen zu stellen. Einfach nur dabei sein. Und genau so erzählt LORD OF THE TOYS auch konsequent seine Geschichte. Die Bilder sind klug und mit exzellentem Blick für das dokumentarische Erzählen gewählt und montiert, und lassen auch bewusst Längen zu. Für den Zuschauer ist es eine Herausforderung, gerade die scheinbar nicht enden wollenden Trinkgelage und die Dumme-Jungen-Streiche auszuhalten, die Max und seine Clique ziellos durch Dresden und Umgebung ziehen lässt. Was sich jedoch vermittelt - ohne dass es der Film überdeutlich herausstellen muss - ist eine Trost- und Perspektivlosigkeit der Protagonisten, die allesamt ohne wirkliches Ziel um ihren Fixstern Max herumkreisen und sich wünschen, sein zeitlich doch sehr begrenzter Glanz würde auch auf sie abfärben. Ob die Kamera nun immer die „wirkliche“ Person abbildet oder inwiefern alle nur ihre Rollen spielen, ist eine hochinteressante Frage, die der Film in den Raum stellt. Max selbst scheint auf den ersten Blick der einzige, der sich auch der Inszenierung im Film stärker bewusst ist. Er provoziert mit seinen rechts ausgerichteten Sprüchen, Witzen und Beleidigungen gezielt, überschreitet dabei oftmals Grenzen, wirft auch mal einen Blick in die Kamera und erhält sich so auch als Kunstfigur. Mit seinem rein beobachtenden Blick zeigt LORD OF THE TOYS ungeschönt, konsequent und radikal eine Wahrheit über einen Teil unserer Gesellschaft. Eine Wahrheit, die wehtut. Und die gezeigt werden muss.
Jurybegründung:
Der 20-jährige Max Herzberg aus Dresden verdient Geld indem er vor laufender Kamera Waren auspackt, ganz subjektiv bewertet und die gefertigten Clips schließlich auf YouTube einstellt. Damit ist er ein Vorbild vieler Jugendlicher geworden, die ihren Lebensunterhalt, genau wie Herzberg, als Influencer verdienen wollen. Aber Herzberg ist seinen Fans auch deshalb bekannt, weil er beständig seine Clique und sich filmt, wie sie betrunken und pöbelnd die Langeweile totschlagen, rechte Parolen und sexistische Phrasen brüllen und sich untereinander erniedrigen.
In LORD OF THE TOYS folgen Pablo Ben Yakov und André Krummel der Gruppe um Herzberg einen Sommer lang. In schonungsloser Nähe zeigen sie die jungen Leute und ihre Welt, 95 Minuten Dokumentation ohne weiteren Kommentar, von der sich die durchaus Film erfahrene Jury geradezu körperlich angegangen fühlte. Wie sich in der Filmdiskussion zeigte, ist LORD OF THE TOYS wirklich starker Tobak.
Ziemlich schnell entfaltete sich ein hochemotionaler Austausch über die Wirkung der unkommentierten Bilder. Vom puren Erschrecken über die unverstellten Bilder bis hin zur Frage, ob LORD OF THE TOYS diesen pöbelnden und mobbenden jungen Menschen eine Öffentlichkeit verschaffe, die sie nicht verdienen, reichten zunächst die Reaktionen. In den genauso unvermittelten wie unverhohlenen Bildern zeigen sich die YouTube-Stars tatsächlich als gescheiterte Existenzen des realen Lebens. Sie zelebrieren Besäufnisse als apokalyptischen Taumel und werden von ihren Followern für solche Banalitäten geliked. Durch seine entlarvenden Bilder schafft es LORD OF THE TOYS auch, gesamtgesellschaftliche Reaktionen und Fragen zu provozieren.
Nach ausgiebiger Diskussion meint die Jury zu erkennen, dass die Stärken des Films im Verzicht auf einordnende Kommentare liegen. Auch wenn seine schonungslose Nähe zunächst Fluchtreflexe auslösen mag, ist diese Distanzlosigkeit auch das, was jene Emotionen frei setzt, die seine Publikum ein Einschreiten der Politik oder einer anderen Aktionen gegen solche Zustände fordern lässt. - LORD OF THE TOYS macht nicht nur auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam, sondern setzt auch den unbedingten Willen nach Abhilfe bzw. Veränderung frei. Insofern bezieht der Film deutlich Stellung - und zwar mit einer solchen Kraft, wie sie nur wenige Filme besitzen.
Yakov und Krummels Dokumentarfilm ist genauso bedrückend wie entlarvend. Dramaturgisch gut aufgebaut, führen die Autoren ihren Zuschauern gesellschaftliche und vielleicht auch gesellschaftsrelevante, zeitgenössische Auflösungserscheinungen vor. Sie zeigen, wie gefährlich die Vernachlässigung sozialer Randgruppen ist, aber auch über welches Potential die social channels verfügen.
Sicherlich ist es möglich, den Film in Ausschnitten oder Gänze für rechte Werbezwecke zu missbrauchen. Allerdings kann sich - nach Ansicht der Jury - kein aufgeklärt-mündiges Publikum vom Treiben Max Herzbergs und seinen Kumpels positiv angesprochen fühlen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)