Louisa ist bereits Anfang 20, als sie sich entscheidet, als Gehörlose die Gebärdensprache zu lernen und sich von der Welt der Hörenden, in der sie aufwuchs, zu verabschieden. Katharina Pethke dokumentiert in ihrem Abschlussfilm das Bild einer mutigen jungen Frau auf dem Weg in die Emanzipation. Dass es sich bei der Portraitierten um ihre Schwester handelt, macht den Film nur umso persönlicher. Auf ihrem Weg zwischen der Anpassung an die hörende Welt und einer autonomen Community von Gehörlosen begleitet sie Louisa bei ihrem Prozess der Selbstwerdung und der Erkenntnis, dass die zwei Welten, zu denen sie sich zugehörig fühlt, nicht zusammen passen. Interessanterweise sind ganze Passagen des Films der Musik gewidmet, ob das nun Louisas erste Töne auf einer Klarinette sind oder auch das gemeinsame Erarbeiten eines Hip-Hop-Textes mit ihren Freunden. Pethke zeichnet ein sehr intimes, aber doch immer respektvolles Bild ihrer Schwester. Eine ungewöhnliche Coming-of-age-Geschichte mit ausgefeilter Bildgestaltung und feinfühligem Dokumentarstil.
Jurybegründung:
Wer nicht hören kann, lebt in einer völlig anderen Welt. Diese Erfahrung vermittelt der Dokumentarfilm von Katharina Pethke beeindruckend, indem er das Porträt der 23-jährigen Louisa zeichnet. Bisher hatte ihr Leben darin bestanden, sich den Hörenden anzupassen. Sie lernte das Lippenlesen und sogar das Sprechen - und kam mit diesen Techniken, die ihre Defizite ausgleichen sollen, auch erstaunlich weit. Aber nun stößt sie an die Grenzen dieser Erziehung. Ihr Psychologiestudium musste sie abbrechen und sie ist zunehmend unzufrieden mit ihrer Situation. Deshalb wendet sie sich im Laufe des Films immer mehr anderen Gehörlosen zu, die als Gruppe Rechte wie die Untertitelung aller Sendungen des öffentlich rechtlichen Fernsehens einfordern und autonom in einer alternativen Kultur ohne Töne leben. Dass dazu auch die Musik als Ausdrucksmittel gehört, ist eine der vielen Überraschungen des Films, in dem man sehr viel darüber erfährt, wie das Leben einer jungen Gehörlosen in unserer Gesellschaft beschaffen ist. Louisa kann zugleich sehr reflektiert und leidenschaftlich ihre Situation kommunizieren, und für einen Dokumentarfilm ist solch eine starke und präsente Protagonistin ein Glücksfall. Die Filmemacherin ist Louisas Schwester und man spürt diese Vertrautheit im Umgang der Porträtierten mit der Kamera, die immer ganz selbstverständlich genommen wird.
Ungewöhnlich ist, dass ein besonders wichtiges und intimes Gespräch, von dem es offenbar nur die Tonspur gibt, notdürftig bebildert mit unscharfen Aufnahmen einer nächtlichen Autofahrt, im Film verwandt wurde. Auf die Unterschiede in der Wahrnehmung von Hörenden und Nichthörenden machen auch die konsequent eingesetzten Untertitel deutlich. Nur wenn in Gebärdensprache kommuniziert wird, fehlen sie und so werden in zumindest einer Sequenz die Rollen einmal vertauscht und die Nichthörenden verstehen ein Gespräch besser als die Hörenden.
Louisas tief greifende Entscheidung gegen ein Hörimplantat und für eine Zuwendung zur Kultur der Gehörlosen, wozu die Konzentrierung auf die Gebärdensprache gehört, durch die sich ihr soziales Umfeld in der Zukunft verändern wird, wird als ein Wendepunkt in ihrem Leben dargestellt. Der Film fängt die verschiedenen Aspekte ihres Lebens (vom Ausstellen des Behindertenausweises auf der Behörde bis zu Auseinandersetzungen mit den Eltern) so präzise mit der Kamera ein, dass man die verschiedenen Phasen von Louisas Ablösungsprozesses gut nachvollziehen kann und zunehmend ihre Stärke und Konsequenz bewundert.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)