Am Anfang war ein Koffer. Von ihrem Freund Richard wird Lucy genötigt, diesen in ein Hotel in Taipeh zu bringen. Dort wartet ein rabiater Drogenboss auf sie, lässt sie niederschlagen und benutzt sie als Drogenkurier für einen völlig neuen Stoff. Plötzlich jedoch reißt die Verpackung des Drogenpäckchens in Lucys Bauch auf. Die Substanz verteilt sich in Lucys Körper. Als sie danach die Augen aufschlägt, ist sie nicht mehr dieselbe. Denn die Nutzung ihrer Gehirnkapazität steigt zunehmend an. Und Lucy begibt sich auf die Suche. Nach Antworten - und nach Rache an ihren Peinigern. Luc Bessons neuer Film ist ein rasanter und aufregender Mix aus Action und Science-Fiction. Von Anfang an streift der Film auch philosophische Fragen und Überlegungen: Wie viel unserer Hirnkapazität nutzt der Mensch? Wie viel könnte er nutzen? Und wie viel sollte er nutzen, bevor er selbst daran zu Grunde geht? All diese Fragen wirken wie ein Teppich, auf dem sich Lucys Geschichte abspielt. Scarlett Johansson ist die Idealbesetzung für diese Figur. Wirkt sie in den anfänglichen Szenen verletzlich, verwirrt und verzweifelt, so verwandelt sich mit der bewusstseinserweiternden Substanz auch ihr Auftreten und ihre Leinwandpräsenz. Cool, beherrscht, fast roboterhaft und doch sexy dominiert sie die Handlung und kämpft sich durch bis zum phänomenalen Showdown in Paris. Morgan Freeman als Gehirnforscher ist gewohnt souverän und nimmt mit seinen Erklärungen, die Besson immer wieder kunstvoll mit Metaphern aus der Natur bebildert, den Zuschauer an die Hand. Die Action-Sequenzen und die Verfolgungsjagden sind meisterlich inszeniert, der Soundtrack treibt die Spannung noch zusätzlich an. So entsteht ein atemloses Kino-Erlebnis, an dessen Ende die Aufforderung Lucys steht: „Vor einer Milliarde Jahre hat man uns das Leben geschenkt. Macht was draus!“ LUCY ist grandioses Action-Kino mit philosophischem Tiefgang.
Begründung:
Auch wenn (oder gerade weil) sich Luc Besson in den letzten Jahren mehr aufs Produzieren denn auf die Regie konzentriert hat, blickt das Publikum und die Fachwelt gespannt auf jedes neue Werk von ihm und zieht fast unweigerlich Vergleiche zu früheren Erfolgen wie LEON DER PROFI, NIKITA oder DAS FÜNFTE ELEMENT. Im Falle von LUCY sind dies wahrlich keine schlechten Vergleiche, denn mit seinem neuen Werk (man möchte fast Opus sagen), knüpft Besson nach einigen schwächeren Filmen wieder an die ganz großen Erfolge früherer Jahre an und kombiniert geschickt massentaugliches Actionkino mit Twist und nahezu philosophischen Betrachtungen über das Leben und den Sinn des Daseins.
Die Geschichte spielt in nicht allzu ferner Zukunft. Lucy (Scarlett Johansson) ist ein Party-Girl, das sich in Taiwan nicht ganz freiwillig darauf einlässt, als Kurier einer neuen Superdroge namens CPH4 zu fungieren. Dann aber geschieht das Unvorhersehbare: Der in ihrem Bauch eingenähte Beutel mit der blauen kristallinen Substanz platzt auf und verteilt sich in ihrem Körper. Und plötzlich wird aus der ganz normalen jungen Frau eine Art Superwesen, die erstaunliche geistige Fähigkeiten entwickelt. Von Albert Einstein stammt der berühmte Satz, dass wir nur 10 Prozent unserer geistigen Fähigkeiten nutzen, Lucy aber schafft es, zuerst 20, dann 30, dann 40 Prozent ihrer Gehirnkapazitäten freizuschalten. Weil dies noch niemals zuvor einem Menschen gelang, steht selbst der Hirnforscher Professor Norman (Morgan Freeman) gleichermaßen fasziniert wie hilflos vor der Frau und bestaunt deren rasante Wandlung, von der niemand absehen kann, wo sie endet. Für wissenschaftliche Untersuchungen bleibt aber kein Platz, denn das Drogensyndikat von Mr. Jang will seinen Stoff zurück und zudem verhindern, dass Lucy ihr Insiderwissen an die Polizei weitergibt.
Es besteht kein Zweifel, dass Luc Bessons LUCY in allererster Linie ein Film ist, der unterhalten möchte - und genau das gelingt ihm ausgezeichnet. Die Exposition, die Lucy mitten in den Schlamassel hinein befördert, ist ein Musterbeispiel an erzählerischer Effizienz, auch wenn die junge Frau nicht gerade der Prototyp der verfolgten Unschuld ist. Gekonnt steigert Besson im weiteren Verlauf der Geschichte immer mehr das Tempo, flicht mit Parallelmontagen von Lucys Überlebenskampf zu Professor Normans Vortrag über die Evolution des menschlichen Gehirnes körperliche Rasanz mit geistigem Wachstum zusammen und bringt am Ende die beiden unterschiedlichen Ebenen auf eine Linie.
Zwar weist der Film einige gewaltige Logiklöcher auf, doch insgesamt überwiegt - auch aufgrund der mit Höchstgeschwindigkeit voranschreitenden Inszenierung und einer großartig aufspielenden Scarlett Johansson - das Sehvergnügen und die Denkanregung durch wahrhaft existenzielle Fragen, die der Film aufwirft. Und am Schluss gibt es sogar eine kleine Verneigung vor Stanley Kubricks 2001 - ODYSSEE IM WELTRAUM, die überhaupt nicht anmaßend, sondern vielmehr charmant und gewitzt wirkt.
Die Jury sprach dem Film, der sich nahtlos an Bessons große Erfolge anschließt, das Prädikat „besonders wertvoll“ zu.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)